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BSG, Urt. v. 22. April 2009 – B 3 P 14/07 R

Die gleichzeitige Wahrnehmung der Funktion als Heimleitung und Pflegedienstleitung ist von Gesetzes wegen nicht grundsätzlich untersagt. Die verantwortliche Pflegefachkraft muss ihren Aufgabenbereich aber im Wesentlichen in der verantwortlichen Tätigkeit im Pflegebereich haben.
(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Hintergrund:
Die Klägerin betreibt gegenwärtig nach eigener Darstellung 65 stationäre und teilstationäre Altenpflegeeinrichtungen mit rund 6.000 Plätzen.

Sie hat ihre Organisationsstruktur geändert: Heimleitungsaufgaben sind zentralisiert und auf die Hauptgeschäftsführung sowie auf Regionaldirektionen übertragen; Teilaufgaben der verantwortlichen Pflegefachkraft innerhalb der Einrichtung wurden auf nachgeordnete Wohnbereichsleitungen delegiert. Die Funktionen der Heimleitung und der verantwortlichen Pflegefachkraft sind in einer Person zusammengefasst.

Nach dem zu Gunde liegenden Konzept ist die verantwortliche Pflegefachkraft heute von folgenden Aufgaben entlastet, die sie zuvor in eigener Person wahrgenommen hatte: Aufstellung der Dienstpläne, Sicherstellung der aktuellen und individuellen Pflegeplanung, richtige Pflegebedürftigkeitseinstufung, Begleitung von Angehörigen neuer Bewohner sowie Kontrolle der Arbeitsabläufe und der Qualität der Ausführung.

Das BSG hatte aus Anlass der Neubesetzung der Heimleitung im Johanniterstift P (Stift P) über die rechtliche Zulässigkeit dieser neuen Organisationsstruktur zu befinden.

Das Stift P ist ein Pflegeheim mit 131 Plätzen (davon 91 vollstationär), die unter der organisatorischen (Teil-)Verantwortung von sechs Wohnbereichsleitungen stehen. Zu der Regionaldirektion, der das Stift P nach dem Regionalisierungskonzept zugeordnet ist, gehören sechs Pflegeheime mit insgesamt 633 Plätzen. Im Januar 2007 waren im Stift P für den Bereich Pflege und Betreuung 55,89 Vollbeschäftigte, davon 30,56 Fachkräfte angestellt (Fachkraftquote von 68 %). Als verantwortliche Pflegefachkraft im Sinne von § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI hat die Klägerin Herrn S. benannt, der zum 01. Januar 2003 zusätzlich als Heimdirektor eingesetzt worden ist. Seither nimmt er die Aufgaben der Heimleitung und der verantwortlichen Pflegefachkraft jeweils mit der Hälfte seiner Arbeitskraft wahr.

Diese Zusammenführung von Aufgaben der Heimleitung und der verantwortlichen Pflegefachkraft haben die beklagten Pflegekassen als rechtswidrig beanstandet. Die Wahrnehmung der Aufgaben als verantwortliche Pflegefachkraft erfordere grundsätzlich eine Vollzeitbeschäftigung. Eine Personalunion zwischen verantwortlicher Pflegefachkraft und Heimleitung könne allenfalls bis zu einer Einrichtungsgröße von bis zu 30 Plätzen akzeptiert werden. Darüber hinaus nehme der Aufgabenumfang der Heimleitung ein Volumen ein, das mit der geforderten Vollzeitbeschäftigung in der Funktion der verantwortlichen Pflegefachkraft nicht mehr vereinbar sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit dem Begehren festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, die Stelle der ständig verantwortlichen Pflegefachkraft durch eine andere Person als die des Heimleiters zu besetzen.

Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben. Dabei hat es maßgeblich darauf abgestellt, dass die von den Beklagten vertretene Auffassung im Gesetz keine Stütze finde. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Entscheidend komme es darauf an, dass die pflegerische Gesamtverantwortung in der Hand einer Person liegen müsse. Die gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen an die verantwortliche Pflegefachkraft seien so beschaffen, dass sie – ohne auf die Größe der Einrichtung abzustellen – ihren Aufgabenbereich im Wesentlichen in dieser verantwortlichen Tätigkeit im Pflegebereich haben müsse. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, da Herr S. verwaltende Tätigkeiten als Heimleiter und die Pflegedienstleitung zeitlich in demselben Umfang wahrnehme.

Die Klägerin hat die vom Landessozialgericht zugelassene Revision eingelegt. Eine Personalunion zwischen verantwortlicher Pflegefachkraft und Heimleitung sei nicht untersagt. Der Gesetzgeber habe für die stationären Pflegeeinrichtungen bewusst eine weite Definition gewählt, um die Möglichkeit für Innovationen offen zu halten und im Bereich der Pflege flexible und familienfreundliche Dienstzeiten sowie Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen. Zudem könnten im Stift P aufgrund der hohen Fachkraftquote Aufgaben der Pflegedienstleitung weitgehend auf Pflegefachkräfte delegiert werden.

Die Entscheidung:
Das BSG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Trotz des in § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI zum Ausdruck kommenden Leitbildes einer vollzeitig tätigen und neben der Heimleitung agierenden verantwortlichen Pflegekraft verbiete das Gesetz zwar nicht grundsätzlich die Aufgabenteilung zwischen Heimleitung und Pflegedienstleitung. Dies werde vor allem in kleineren Einrichtungen häufig auch so praktiziert.

Jedoch müsse in größeren Einrichtungen – etwa in einer solchen wie die der Klägerin – sichergestellt sein, dass die Aufgaben der verantwortlichen Pflegekraft auch tatsächlich wahrgenommen werden. Denn ihr obliegt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht nur die Verantwortung im Sinne einer Haftung für pflegerisches Missmanagement und etwaige Fehler, sondern darüber hinaus auch die fachlich-pflegerische Gesamtverantwortung und Leitung. Hierzu zählen in der Regel die Patientenaufnahme und Pflegeanamnese, die fachliche Planung der konkreten Pflegeprozesse, die Überwachung der Qualitätsmaßstäbe sowie die Aufstellung fallbezogener Dienstpläne, die Durchführung von Dienstbesprechungen u.ä.. Diese qualifizierten Aufgaben könne eine einzelne Person in größeren Einrichtungen jedenfalls dann nicht mehr zufriedenstellend wahrnehmen, wenn sie gleichzeitig auch noch die Funktion des Heimleiters bekleide. Deshalb hätte die Klägerin für eine ausreichende Aufgabendelegation im Sinne einer zusätzlichen Benennung weiterer verantwortlicher Pflegekräfte Sorge tragen müssen, wobei sich durchaus eine Mehrzahl von sinnvollen Organisationsstrukturen denken lässt und es immer auf die konkreten Umstände des einzelnen Falles ankommt.

Konsequenzen für die Praxis:
Das BSG hat mit seiner Entscheidung einer oftmals im Interesse der Kostenersparnis vorgenommenen „Personalunion“ einen gewissen Riegel vorgeschoben: die Wahrnehmung der Stelle als verantwortliche Pflegefachkraft erfordert eine tatsächliche Verantwortungsübernahme im Sinne einer Leitungstätigkeit.

Einrichtungsträger sind daher gut beraten, ihre Organisationsstruktur entsprechend zu gestalten.
(LH)