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Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig? Dazu hat der EuGH mit Urteil vom 19. Januar 2010 – Rs. C 555/07 – entschieden. Und zwar verstößt die Regelung zur Kündigungsfrist in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer zur Bestimmung der Kündigungsfrist Zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden sollen, gegen das europarechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, so der EuGH. Die Regelung darf von den deutschen Arbeitsgerichten keine Anwendung mehr finden.

Was ist passiert?

Klägerin war eine Angestellte, die seit ihrem 18. Lebensjahr bei dem beklagten Betrieb beschäftigt gewesen war. Und zwar wurde sie im Alter von 28 Jahren unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat entlassen. Entsprechend § 622 Abs. 2 S. 2 BGB berechnete der Arbeitgeber dabei eine Beschäftigungsdauer von drei Jahren. Dazu berief sich die Klägerin im Kündigungsschutzprozess auf eine verbotene Altersdiskriminierung. Und zwar war sie der Ansicht, dass die Kündigungsfrist vier Monate betragen müsse. Schliesslich habe sie zehn Jahre in dem Betrieb gearbeitet.

Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig?

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat den Fall in der Berufungsinstanz dem EuGH mit der Frage vorgelegt, ob die gesetzliche Kündigungsregelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB mit europäischem Antidiskriminierungsrecht vereinbar sei.

Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig? Dazu der EuGH:

Der EuGH entschied mit seinem Urteil vom 19. Januar 2010 – Rs. C 555/07 – ,  dass die Regelung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen die europäische „Antidiskriminierungsrichtlinie“ (Richtlinie 2000/78/EG) verstößt. Und zwar stelle die Norm des deutschen § 622 Abs. 2 S. 2 BGB eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters dar und dürfe von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden.

Aufgrund der bestehenden Regelung ergebe sich eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern. Und zwar von solchen Arbeitnehmern, die ihre Beschäftigung bei dem Arbeitgeber vor Vollendung des 25. Lebensjahres aufgenommen haben, zu solchen, die die Tätigkeit dort erst später begonnen haben. Damit würden aber Personen mit gleicher Betriebszugehörigkeit unterschiedlich behandelt werden. Und zwar je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind.

Eine auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung sei nur dann zulässig, wenn sie durch ein legitimes Ziel aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung gerechtfertigt sei, so der EuGH. Außerdem müssten die Mittel zur Erreichung des Ziels „angemessen und erforderlich“ sein. Als Berufungsinstanz hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf den EuGH gefragt, ob dies im strittigen Verfahren der Fall sein könnte, was vom EuGH verneint wurde.

Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig?

Zwar könne sich ein Einzelner vor Gericht nun nicht direkt auf die EU-Richtlinie zum Verbot der Diskriminierung berufen. Als „allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts“ müsse das nationale Gericht aber „die volle Wirksamkeit des Unionsrechts“ gewährleisten, weshalb es in einem solchen Fall die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als nationales Recht nicht anwenden dürfe.

Was lernen wir daraus?

Einzig die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist bei der Berechnung von Kündigungsfristen zu berücksichtigen. Eine Verringerung der Kündigungsfrist bei Arbeitnehmern, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sind, ist (nun) unzulässig. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB darf bei deutschen Arbeitsgerichten keiune Anwendung mehr finden.

Bei einer Falschberechnung von Kündigungsfristen können möglicherweise Nachforderungen auf den Arbeitgeber zukommen.

Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig?

Dazu siehe auch: https://raheinemann.de/diskriminierung-juengerer-arbeitnehmer-bei-gestaffelten-kuendigungsfristen/ und https://raheinemann.de/kuendigung-des-arbeitgebers-mit-i-a-unwirksam/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-bei-arbeitsverweigerung-ausserhalb-der-arbeitszeit/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-bei-ausserdienstlicher-straftat/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-wenn-pflegedokumentation-gefaelscht/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-bei-kundendatenmissbrauch/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-bei-heimlicher-aufnahme-eines-personalgespraechs/ und https://raheinemann.de/kuendigung-wegen-quarantaene-im-zusammenhang-mit-covid-19/ und https://raheinemann.de/fristlose-kuendigung-wegen-morddrohung-ich-stech-dich-ab/ und https://raheinemann.de/duerfen-auch-freigestellte-arbeitnehmer-an-betriebsfeiern-teilnehmen/ und https://raheinemann.de/kuendigung-gegenueber-einem-minderjaehrigen-auszubildenden/ und https://raheinemann.de/zugang-einer-kuendigung-bei-erklaerung-gegenueber-ehegatten/ und https://raheinemann.de/wer-traegt-die-beweislast-fuer-den-zugang-einer-e-mail/

Rolf Heinemann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig? Dazuu hat der EuGH mit Urteil vom 19. Januar 2010 – Rs. C 555/07 - entschieden.
Rechtsanwalt Rolf Heinemann: Gesetzliche Regelung zur Kündigungsfrist rechtswidrig? Dazuu hat der EuGH mit Urteil vom 19. Januar 2010 – Rs. C 555/07 – entschieden.