SG München, Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2014 – S 29 KR 1410/12
Krankenkassen dürfen gegen Entgeltforderungen für die Behandlung ihrer Versicherten nicht mit strittigen Rückforderungen gegenüber Krankenhäusern aufrechnen. Das hat das Sozialgericht (SG) München mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2014 – S 29 KR 1410/12 entschieden.
Was war passiert?
Die Forderung aus einer vom Krankenhaus abgerechneten Krankenhausbehandlung wurde von der gesetzlichen Krankenkasse zunächst entsprechend der einschlägigen Regelungen aus Sicherstellungsvertrag und Pflegesatzvereinbarung fristgemäß bezahlt. Der MDK stellte in einer Prüfung gem. § 275 Abs. 1c SGB V fest, dass aufgrund medizinischer Gesichtspunkte nur ein geringerer Betrag hätte abgerechnet werden dürfen. Infolge dessen machte die Krankenkasse eine Rückforderung aus der entsprechenden Überzahlung gegenüber dem Krankenhaus geltend. Das Krankenhaus bestritt die Rückforderung und vertrat die Auffassung, dass korrekt abgerechnet worden sei. Die Krankenasse rechnete schließlich mit der bestrittenen Rückforderung gegen unstreitige Forderungen des Krankenhauses aus anderen abgerechneten Krankenhausbehandlungen auf.
Was sagt das SG München dazu?
Da SG München hat die Krankasse antragsgemäß verurteilt. In der Begründung führte das Gericht aus, dass die Aufrechnung der Beklagten mit einer strittigen Rückforderung unwirksam und damit die Forderung der Klägerin aus den geltend gemachten anderweitigen Behandlungsfällen in der eingeklagten Höhe nicht erloschen seien.
Die Klageforderung sei nicht durch die Aufrechnung der Krankenkasse erloschen. Die Aufrechnung sei zwar auch im Verhältnis Krankenversicherung – Krankenhaus nicht ausgeschlossen und werde auch in der BSG-Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt (Urteil vom 23. Juli 2002, B 3 KR 64/01 R, Juris Rn. 16; Urteil vom 28. Mai 2003, B 3 KR 10/02 R, Juris, Rn. 18, wo jeweils der Vorleitungspflicht der Krankenkasse ein Rückforderungsanspruch und die Möglichkeit späterer Aufrechnung gegen Forderungen aus anderen Behandlungsfällen (§§ 387 ff. BGB) gegenübergestellt werden; Urteil vom 22. Juli 2004, B 3 KR 20/03 R, Juris, Rn. 16; Urteil vom 22. Juli 2004, B 3 KR 21/03 R, Juris, Rn. 14).
Somit bestehe – was auch von den Parteien nicht bestritten worden sei – grundsätzlich die Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Forderung durch Aufrechnung entgegenzutreten.
Allerdings seien die Besonderheiten der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien gem. § 69 Abs. 1 S. 3 zweiter Halbsatz SGB V für die Frage der Wirksamkeit einer Aufrechnung zu beachten. Krankenkasse und Krankenhäusern seien aufgrund ständiger professioneller Zusammenarbeit innerhalb eines dauerhaften Vertragsrahmens geprägt und dadurch in partnerschaftlicher Weise zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010, B 1 KR 1/10 R, Juris, Rn 20/21; Ausdruck für diese bereichsspezifischen Besonderheiten ist auch die seit 1. August 2013 geltende Verpflichtung der Parteien vor Klageerhebung für Forderungen bis 2.000,00 € zwingend ein Schlichtungsverfahren durchzuführen). Daraus könne auch eine Begrenzung von Ansprüchen resultieren (BSG, aaO).
Ein Aufrechnungsausschluss oder (als Minus) eine Aufrechnungsbegrenzung sei nach Treu und Glauben und nach dem Zweck der geschuldeten Leistungen daneben im Übrigen auch allgemein anerkannt (Palandt, 68. Aufl., § 387 Rn. 15).
Die gegenseitige Rücksichtnahmeverpflichtung der Parteien nach Treu und Glauben führe vorliegend damit dazu, dass eine Aufrechnung zwischen Krankenkasse und Krankenhaus grundsätzlich nur mit unstrittigen Gegenforderung (Rückforderungen) erklärt werden könne (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2007, B 3 Kr 1/07 R, Juris; siehe aus BSG, Urteil vom 28. Mai 2003, B 3 KR 10/02 R, Juris Rn. 18; Beschluss vom 27. Januar 2009, B 1 KR 76/08 B, Juris).
Dabei spiele insbesondere eine Rolle, dass bei Streitigkeiten zwischen Krankenhaus und Krankenkasse praktisch immer das Krankenhaus in Vorleistung trrete, weil es die sächlichen und personellen Mittel zur Behandlung des Versicherten zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung bereits aufgewendet habe, während die Beklagte über laufende sichere Beitragseinnahmen verfügt und deren Einsatz hinauszögere. Die Aufrechnung verlagere so in erheblichem Maße das Kosten- und zusätzlich das Prozessrisiko für die Rückforderungsansprüche der Beklagten auf die Klägerin (die Krankenhäuser), was diese – zumal bei einer breiten Anwendung des Rückforderungseinzugs durch Aufrechnung seitens der Beklagten – verstärkt unter finanziellen Druck setze. Da es insoweit die Krankenkasse allein in der Hand habet, diesen Druck zu erzeugen, und sich dabei noch Prozessrisiken erspare, ist sei besonders nachhaltiger Verstoß gegen das oben dargelegte prägende Beziehungsprinzip zwischen den Parteien gegeben.
Zahle im umgekehrten Fall die Krankenkasse innerhalb der jeweiligen Zahlungsfrist, und sei die Beklagte nach Überprüfung der Behandlungsunterlagen zur Auffassung gelangt, dass Rückforderungsansprüche begründet sind, so könne sie diese Ansprüche – und die Geltendmachung eigener Ansprüche sei dann auch zu Recht mit eigenem Prozessrisiko verbunden – vor Gericht geltend machen.
Von diesem grundsätzlichen Zahlungsverfahren sei nicht nur § 21 des Vertrages gem. § 112 Abs. 1 SGB V geprägt, sondern auch die jeweiligen Pflegesatzverordnungen. Nicht zuletzt mache auch der seit 1. August 2013 geltend § 17 c Abs. 4 b KHG mit seiner Schlichtungsverpflichtung letztlich nur dann Sinn, wenn die Beklagte – beispielhaft in dem gesetzlich geregelten Fall – nicht im Schlichtungsverfahren immer noch eine einfache und schnell zu handhabende Aufrechnung im Zusammenhang mit der in der Schlichtung stehenden strittigen Forderung in der Hinterhand habe.
In einem Parallelverfahren hat dieselbe Kammer des SG München unter Az.: S 29 KR 777/13 ebenso entschieden.
Gegen die Gerichtsbescheide wurde dem Vernehmen nach Berufung eingelegt. Sie sind damit nicht rechtskräftig.
Was lernen wir daraus?
Ob die Entscheidungen dem Berufungsverfahren standhalten, bleibt abzuwarten. Für die Krankenhäuser würde es jedenfalls einen erheblichen Liquiditätsvorteil bedeuten, wenn sich die Rechtsansicht des SG München flächendeckend bei allen Sozialgerichten durchsetzt. Außerdem würde dann abzuwarten bleiben, ob die Krankenkassen ihre vermeintlichen Forderungen konsequent auch auf dem Gerichtsweg weiterverfolgen würden. Bei dem dann stattfindenden Rollentausch müssten die Krankenkassen vorlegen und Aktivität entfalten.
(RH)