BGH, Urteil vom 19. März 2013 – XI ZR 431/11
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 19.03.2013 – XI ZR 431/11 über die Haftung einer Direktbank entschieden, wenn ein anderes anlageberatend tätiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen (hier: Accessio Wertpapierhandelshaus AG) zwischengeschaltet ist.
Was war passiert?
Im Januar 2005 eröffnete die Klägerin über die Rechtsvorgängerin der früheren Mitbeklagten (Accessio Wertpapierhandelshaus AG) bei der Beklagten ein sog. Zins-Plus-Konto. Es handelte sich dabei um ein Tagesgeldkonto mit einer jährlichen Verzinsung von 4,5 %, welches zwingend mit einem Depotvertrag zur etwaigen Einbuchung von Wertpapieren verbunden war (sog. Depotkonto). Die Verzinsung von 4,5 % lag deutlich über dem Marktzins. Zwischen der Accessio und der Beklagten war vereinbart, dass in ihrem Verhältnis die Beklagte lediglich den Marktzins zu zahlen hatte und die Accessio der Beklagten die Differenz zu den an die Kunden zu zahlenden 4,5 % erstatten musste. Es war Ziel der Accessio, die Tagesgeldkunden möglichst schnell aus diesem für sie verlustreichen Geschäft in komplexere Finanzinstrumente zu überführen und dafür Provisionen zu erzielen. Es gab eine Rahmenvereinbarung zwischen der Accessio und der Beklagten, in der ihre Zusammenarbeit geregelt war.
Die Klägerin tätigte in der Zeit von 29.01.2007 bis 01.12.2008 auf Beratung eines Mitarbeiters der Accessio zahlreiche Käufe von Inhaber-Teilschuldverschreibungen, Inhaber-Aktien und Genussscheinen im Nennwert von insgesamt 49.898 Euro. Nach einem verlustreichen Verkauf der Genussscheine sowie der Inhaber-Aktien verlangt die Klägerin unter Anrechnung erhaltener Ausschüttungen im Wege des Schadensersatzes Zahlung von 46.059,78 Euro nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Inhaber-Teilschuldverschreibungen.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Was sagt der BGH dazu?
Der BGH hat das Berufungsurteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BGH besteht kein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Anlageberatung, weil zwischen einem Kapitalanleger und einer Direktbank, die ausdrücklich allein sog. Execution-only-Dienstleistungen als Discount-Brokerin anbiete, im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften grundsätzlich kein stillschweigend geschlossener Anlageberatungsvertrag zustande komme.
Eine Zurechnung etwaiger Beratungsfehler eines vom Kapitalanleger mit seiner Beratung beauftragten selbstständigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens über § 278 BGB scheide in der Regel aus, weil die Beratung nicht zum Pflichtenkreis einer solchen Direktbank gehöre.
Soweit das Berufungsgericht die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) der Beklagten aus dem Depotkonto-Vertrag bzw. aus den den streitgegenständlichen Wertpapiergeschäften zugrundeliegenden Kommissionsverträgen mit der Klägerin verneint hat, konnte das Berufungsurteil jedoch keinen Bestand haben.
Bei gestaffelter Einschaltung mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen sei zwar grundsätzlich nur das kundennähere Unternehmen zur Befragung des Anlegers hinsichtlich seiner Erfahrungen, Kenntnisse, Anlageziele und finanziellen Verhältnisse verpflichtet. Eine Pflicht zur Überwachung des vorgeschalteten Beratungsunternehmens bestehe in der Regel nicht. Eine haftungsbewehrte Warnpflicht als Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) der Execution-only-Dienstleistung könne gleichwohl bestehen, wenn die kundenfernere Direktbank die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kenne oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident sei.
Nach allgemeinen Grundsätzen trage dabei der Kapitalanleger die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis der Direktbank von der tatsächlichen Fehlberatung bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft bzw. für die sich aufgrund massiver Verdachtsmomente aufdrängende objektive Evidenz dieser Fehlberatung. Die im Rahmen der Haftung der kreditgebenden Bank infolge eines konkreten Wissensvorsprungs entwickelte Beweiserleichterung bei institutionalisiertem Zusammenwirken (BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 – XI ZR 6/04) sei auf die Zusammenarbeit zweier Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinsichtlich der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen nicht übertragbar.
Das Berufungsurteil war aufzuheben, da die Klägerin ihre Behauptung, die Beklagte habe von einer systematischen Falschberatung der Anleger durch die Accessio Kenntnis gehabt, unter Zeugenbeweis gestellt hat, das Berufungsgericht dem Beweisantrag aber nicht nachgegangen ist. Das Berufungsgericht werde den Zeugen nunmehr zu vernehmen haben.
Was lernen wir daraus?
Eine Zurechnung etwaiger Beratungsfehler eines vom Kapitalanleger mit seiner Beratung beauftragten selbstständigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens über § 278 BGB auf eine vorgeschaltete Direktbank scheidet in der Regel aus, wenn die Beratung nicht zum Pflichtenkreis einer solchen Direktbank gehört. Das ist üblicherwiese der Fall. Nur wenn die vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen erbrachte Leistung auch zum Spektrum der vorgeschalteten Bank gehört, kommt eine Zurechnung grundsätzlich in Betracht. Eine Haftung der vorgeschalteten Direktbank kommt ansonsten bei Beratungsfehlern nur in Betracht, wenn die Direktbank die Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv offensichtlich ist.
(RH)