BGH, Urt. v. 20. September 2011 – XI ZR 434/10, XI ZR 435/10 und XI ZR 436/10
Der für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat in drei Parallelverfahren entschieden, dass die von den Kapitalanlegern im Zusammenhang mit der Insolvenz der Phoenix Kapitaldienst GmbH gegen die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen geltend gemachten Entschädigungsansprüche fällig sind.
Die Kläger der drei Parallelverfahren beteiligten sich jeweils in unterschiedlicher Höhe mit einem Anlagebetrag zuzüglich eines Agios an dem Phoenix Managed Account, einer von der Phoenix Kapitaldienst GmbH (im Folgenden: P. GmbH) im eigenen Namen und für gemeinsame Rechnung der Anleger verwalteten Kollektivanlage, deren Gegenstand die Anlage der Kundengelder in Termingeschäften (Futures und Optionen) für gemeinsame Rechnung zu Spekulationszwecken mit Vorrang von Stillhaltergeschäften war. Spätestens seit 1998 legte die P. GmbH nur noch einen geringen Teil der von ihren Kunden vereinnahmten Gelder vertragsgemäß in Termingeschäften an. Ein Großteil der Gelder wurde im Wege eines sogenannten Schneeballsystems für Zahlungen an Altanleger und für die laufenden Geschäfts- und Betriebskosten verwendet. An die Kläger wurden keine Auszahlungen geleistet.
Im März 2005 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der P. GmbH den weiteren Geschäftsbetrieb und stellte am 15. März 2005 den Entschädigungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde über das Vermögen der P. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folgezeit gewährte die Beklagte den Klägern jeweils eine Teilentschädigung. Unter Abzug des Agios und Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Gewinne und Verluste sowie der vertraglich vereinbarten Handels- und Bestandsprovisionen errechnete die Beklagte einen Endstand der Beteiligungen und zog hiervon einen Einbehalt wegen eines möglichen Aussonderungsrechts der Kläger an den auf den (Treuhand-)Konten noch vorhandenen Geldern und den gesetzlichen Selbstbehalt von 10 % ab. Insoweit berief sie sich darauf, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH zur Frage des Bestehens von Aussonderungsrechten Rechtsgutachten eingeholt und Wirtschaftsprüfer beauftragt hatte, die in ihren Gutachten mit unterschiedlichen Berechnungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.
Mit den im Urkundenprozess erhobenen Klagen begehren die Kläger die Auszahlung des wegen eines möglichen Aussonderungsrechts von der P. GmbH jeweils in Abzug gebrachten Einbehalts. Sie sind der Ansicht, der Einbehalt oder – hilfsweise – die Abzüge für Agio und Bestandsprovisionen seien nicht gerechtfertigt. Die Beklagte hält im Hinblick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798) an ihrer Auffassung, den Klägern stehe an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH ein Aussonderungs- oder Mitaussonderungsrecht zu, nicht mehr fest. Sie meint jedoch, dass die restlichen Entschädigungsansprüche noch nicht fällig seien. Die im Laufe des Revisionsverfahrens dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenientin, ein dem Entschädigungssystem angeschlossenes Institut, hat die Entschädigungspflicht der Beklagten bereits dem Grunde nach bestritten, weil das Anlagemodell der P. GmbH nicht von dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz erfasst werde.
Das Amtsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger hat das Landgericht den Klagen in Höhe eines Teilbetrages von 90 %, d.h. unter Abzug des gesetzlichen Selbstbehalts von 10 %, stattgegeben, die weitergehenden Berufungen zurückgewiesen und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Beklagten zurückgewiesen. Er hat unter Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts das Phoenix Managed Account als Finanzkommissionsgeschäft angesehen und damit die Entschädigungspflicht der Beklagten dem Grunde nach bejaht.
Die Entschädigungseinrichtung hat nach § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG die Berechtigung und die Höhe eines angemeldeten Entschädigungsanspruchs unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, zu prüfen und diesen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG spätestens drei Monate, nachdem sie die Berechtigung und die Höhe des Anspruchs festgestellt hat, zu erfüllen.
Damit ist der Anspruch fällig.
Die Entschädigungseinrichtung muss die angemeldeten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach in eigener Verantwortung prüfen und nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EAEG geeignete Maßnahmen treffen, um die Gläubiger innerhalb der gesetzlichen Fristen zu entschädigen. Aufgrund dessen hat sie auftretende Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art selbst zu entscheiden oder kann darüber – wenn und soweit dies angezeigt ist – einen „Musterprozess“ führen. Letzteres kann insbesondere bei einer schwierigen, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Rechtsfrage in Betracht kommen. Bleibt die Entschädigungseinrichtung dagegen untätig, tritt nach Ablauf der 3-Monats-Frist des § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG die Fälligkeit der Entschädigungsansprüche ein.
Nach diesen Maßgaben hat der Bundesgerichtshof die Fälligkeit der Entschädigungsansprüche bejaht. Die Beklagte hat die zwischen den Parteien umstrittene Frage des Bestehens eines Aussonderungsrechts nicht selbst entschieden und auch keinen „Musterprozess“ geführt, sondern ist untätig geblieben. Den Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798) durfte sie nicht abwarten. Hierdurch ist zwar entschieden worden, dass den Anlegern an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH weder ein Aussonderungs- noch ein Mitaussonderungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Dieses von dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH gegen einen Großanleger mit einer Beteiligungssumme von 11.130.000 US-Dollar betriebene Verfahren stellt aber keinen „Musterprozess“ im oben genannten Sinne dar. Dies folgt bereits daraus, dass die Beklagte – selbst wenn sie sich an dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beteiligt hätte – nicht „Herrin“ des Verfahrens gewesen wäre und z.B. eine nichtstreitige Erledigung des Rechtsstreits nicht hätte verhindern können. Aufgrund der Untätigkeit der Beklagten durften die Kläger ihre noch jeweils offene Restforderung gerichtlich geltend machen, ohne dass ihnen die Beklagte den Einwand fehlender Fälligkeit entgegenhalten kann.
(Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 142/2011)