BGH, Urt. v. 22. März 2010 – II ZR 12/08
Das GmbH-Gesetz schützt die Gläubiger der GmbH durch Regeln zur Aufbringung und zum Erhalt des Stammkapitals. Nach den Regeln über die Kapitalaufbringung, die auch für eine Kapitalerhöhung gelten, ist das Stammkapital entweder in bar einzuzahlen (Bareinlage) oder in Form von Sachen oder sonstigen Vermögenswerten einzubringen (Sacheinlage). Wird eine Sacheinlage geleistet, müssen zum Schutz der Gläubiger, insbesondere zur Sicherung der Vollwertigkeit der Sacheinlage, besondere Formvorschriften eingehalten werden.
Werden diese Formvorschriften umgangen und wird zwar eine Bareinlage beschlossen, erhält die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung vom Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Absprache einen Sachwert, muss sich der Einleger nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes so behandeln lassen, als sei tatsächlich eine Sacheinlage verabredet (verdeckte Sacheinlage). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes musste bisher der Gesellschafter, der eine verdeckte gemischte Sacheinlage erbracht hatte, die von ihm versprochene Bareinlage nochmals vollständig einzahlen. Die Geschäfte, die der verdeckten Sacheinlage zugrunde lagen, waren unwirksam.
Mit dem am 1. November 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) hat der Gesetzgeber die Rechtsfragen einer nach wie vor verbotenen verdeckten Sacheinlage anders geregelt. Nach § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. sind die der verdeckten Sacheinlage zugrunde liegenden Geschäfte nicht mehr unwirksam, der Wert der verdeckt eingebrachten, in das Eigentum der Gesellschaft übergegangenen Sache wird auf die Bareinlageverpflichtung des Einlegers angerechnet. Nach § 3 Abs. 4 EGGmbHG soll diese Neuregelung auch für Fälle gelten, in denen die verdeckte Sacheinlage schon vor Inkrafttreten des MoMiG vereinbart und eingebracht wurde.
Der Kläger in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin), die die Alleingesellschafterin und Beklagte im Zuge eines „Management buy-out“ an die Geschäftsleitung der Schuldnerin veräußern wollte. Die Beklagte zahlte 2003 zunächst auf ein im Soll befindliches Konto der Schuldnerin 739.241,14 € mit dem Verwendungszweck „Aufstockung Stammkapital auf 1 Mio.“ und weitere 3 Mio. € mit dem Verwendungszweck „Einzahlung in die Kapitalrücklage“. Wenige Tage später verkaufte die Beklagte der Schuldnerin Lizenzen zu einem Kaufpreis von 3,99 Mio. €. Kurz darauf fasste die Beklagte den Beschluss, das Stammkapital der Schuldnerin bar um 739.241,14 € auf 1 Mio. € zu erhöhen. Am selben Tag überwies die Schuldnerin der Beklagten 3,99 Mio. € mit dem Verwendungszweck „Kaufpreis Lizenzen“. Danach befand sich ihr Konto wiederum im Soll. Anschließend veräußerte die Beklagte ihren Geschäftanteil von 1 Mio. € für 1,00 € an die Geschäftsleitung der Schuldnerin.
Der Kläger hat die Beklagte auf erneute Zahlung von 739.241,14 € mit der Behauptung in Anspruch genommen, die Beklagte habe statt der versprochenen Bareinlage die tatsächlich wertlosen Lizenzen im Wege der verdeckten Sacheinlage bei der Schuldnerin eingebracht und sei deshalb nicht von ihrer Verpflichtung frei geworden, die versprochene Bareinlage zu leisten. In Höhe von 3 Mio. € hafte die Beklagte, weil sie sich zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliches Vermögen in einer Krise der Schuldnerin habe auszahlen lassen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Zulassung der Revision das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dabei hat er klargestellt, dass die von § 3 Abs. 4 EGGmbHG angeordnete rückwirkende Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. und damit die rückwirkende Anrechnung des Werts der Lizenzen auf die Bareinlageforderung nach seiner Überzeugung nicht verfassungswidrig ist: § 3 Abs. 4 EGGmbHG regelt in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts lediglich eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung. Er bezieht sich auf die Kapitalaufbringung als einen einheitlichen Vorgang und damit nicht nur auf die in der Vergangenheit liegenden Geschäfte, die der Einbringung der Sache zugrunde lagen. Die Kapitalerhöhung um 739.241,14 € war im Ausgangsfall noch nicht abgeschlossen, weil die Einlageschuld nicht durch die verdeckte Sacheinlage getilgt war. Da das Berufungsgericht den Wert der nach neuem Recht anzurechnenden Lizenzen nicht ermittelt hatte, konnte der Bundesgerichtshof über die Klage auf nochmalige Leistung der Bareinlage in Höhe von 739.241,14 € mangels Feststellungen zu einem etwa anzurechnenden Wert nicht in der Sache entscheiden. Ebenfalls in der Revisionsinstanz nicht endentscheidungsreif war die Klage, soweit sie sich auf Zahlung weiterer 3 Mio. € richtete. Da der Kaufvertrag über die Lizenzen nach neuem Recht als wirksam zu behandeln war, kam es für die Begründetheit des Anspruchs auf die Frage an, ob sich die Schuldnerin bei Zahlung des Kaufpreises bereits in der Krise befand oder ob durch diese Auszahlung eine Unterbilanz entstand. Da das Berufungsgericht dazu keine Feststellungen getroffen hatte, war seine Entscheidung auch insoweit aufzuheben.
(Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 59/2010)