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Die Frage nach den Voraussetzungen für den Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen zur Finanzierung von Verträgen der integrierten Versorgung war inzwischen Gegenstand mehrerer Gerichtsentscheidungen.

1. BSG, Urt. v. 06. Februar 2008 – B 6 KA 27/07 R  (BARMER-Hausarztvertrag)

Gegenstand des Rechtsstreits war ein „Vertrag zur integrierten Versorgung durch Hausärzte und Hausapotheken (Integrationsvertrag) gem. §§ 140a ff. SGB V“ (im Folgenden: BHV). Vertragspartner waren die beklagte BARMER Ersatzkasse und die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) e.G. sowie die Marketinggesellschaft Apotheker mbH (MGDA).

Klägerin war eine Kassenärztliche Vereinigung (KÄV). Sie hatte Klage auf Zahlung der von der Beklagten einbehaltenen Gesamtvergütungsanteile i.H.v. € 407.886,46 erhoben.

Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten BARMER Ersatzkasse zurückgewiesen.

Das BSG hat letztinstanzlich die Revision der Beklagten als nicht begründet angesehen.

Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den von der KÄV eingeklagten Betrag auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V i. d. F. des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) „zur Förderung der integrierten Versorgung“ von der gem. § 85 Abs. 1 SGB V an die klagende KÄV zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten. Es handele sich bei dem zugrunde liegenden Vertrag nämlich nicht um einen Vertrag zur integrierten Versorgung nach § 140b Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Die Regelung des § 140d Abs. 1 SGB V sei seit deren Inkrafttreten zum 01.01.2004 zwar mehrfach geändert worden. Vorliegend sei jedoch die Vorschrift i. d. F. des GMG maßgeblich. Der BHV sei im Dezember 2004 vereinbart worden.

Die Krankenkassen seien auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V auch nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Es sei insoweit mit dieser Regelung nicht vereinbar, pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile einzubehalten und auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 5 SGB V dann nach drei Jahren ganz oder anteilig zurückzuerstatten.

Der von der Beklagten mit der HÄVG und der MGDA geschlossene BHV sei kein Vertrag zur integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V.

Integrationsverträge könnten nach dieser Vorschrift nur über eine „interdisziplinär-fachübergreifende“ oder über eine „verschiedene Leistungssektoren übergreifende“ Versorgung geschlossen werden. Wesentlich nach der Konzeption der Integrationsversorgung gem. §§ 140a ff. SGB V sei dabei, dass dadurch Leistungen der bisherigen Regelversorgung zumindest überwiegend ersetzt werden würden. Vorliegend würden die Behandlungsleistungen jedoch weiterhin im Rahmen der bisherigen Regelversorgung stattfinden.

Ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer Versorgung außerhalb der Regelversorgung sei, dass den Leistungserbringern eine verschiedene Vergütungsregime überschreitende Budgetverantwortung, wie z. B. bei Festlegung einer Vergütungspauschale für die Gesamtbehandlungsmaßnahmen, obliege. Dieses Indiz sei vorliegend aber nicht gegeben. Die Leistungen würden nämlich von den am BHV beteiligten Leistungserbringern wie bisher im System der Regelversorgung abgerechnet. Es gebe insoweit lediglich zusätzliche Vergütungsanreize für die beteiligten Hausärzte und Apotheken. Dies reiche jedoch für die Annahme eines integrierten Versorgungsvertrages gem. § 140a Abs. 1 Satz SGB V bei weitem nicht aus.

Das BSG betonte letztendlich, dass die Tatsache des Nichtvorliegen eines integrierten Versorgungsvertrages nicht bedeute, dass der Vertrag keine sinnvollen und gesundheitspolitisch wichtigen Ziele verfolge. Das Instrument der Integrationsversorgung und die Anschubfinanzierung nach § 140d Abs. 1 SGB V stehen jedoch dafür nicht zur Verfügung.

2. BSG, Urt. v. 06. Februar 2008 – B 6 KA 5/07 R

Die Klägerin war die damalige KÄV Nord-Württemberg, die gegen die beteiligte Ersatzkasse auf Zahlung der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile geklagt hatte.

Der Entscheidung lagen 5 Verträge zugrunde, die die beklagte Ersatzkasse im Jahr 2004 mit Leistungserbringern aus dem Bereich der ehemaligen KÄV Nord-Württemberg als Verträge der integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V geschlossen hatte.

Die Verträge Nr. 1 und 2 sahen als einzigen Vertragspartner ein Krankenhaus vor und betrafen die bessere Verzahnung vom ambulanter und stationärer Leistungen innerhalb des Krankenhauses. Die anderen 3 Verträge bezogen zusätzlich zum Krankenhaus Einrichtungen der stationären Rehabilitation mit ein.
In allen Fällen waren jeweils als Vergütung Komplexpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen der Verträge erbrachten Leistungen abgelten sollten.

Die Beklagte behielt von den Gesamtvergütungszahlungen, die sie für die Monate September bis November 2004 zu entrichten hatte, einen Betrag in Höhe von € 79.001,88 ein.

Das BSG hat die Revision der Beklagten im Hinblick auf die Verträge Nr. 1 und 2 für begründet erachtet, während es sie im Hinblick auf die Verträge Nr. 3, 4 und 5 als unbegründet bewertet hat.

Die Verträge Nr. 1 und 2 seien nicht als Verträge der integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V einzuordnen. Voraussetzungen für einen Vertrag der integrierten Versorgung dieser Art sei nämlich, dass eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung stattfinde. Dies sei nicht der Fall, da nur die stationär und ambulant erbrachten ärztlichen Behandlungen innerhalb eines Leistungssektors, nämlich des Krankenhauses, miteinander verknüpft werden würden. Verknüpfungen zwischen der im Krankenhaus stattfindenden ambulanten und stationären Versorgung könnten nur in besonderen Fällen für eine Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der §§ 140a ff. SGB V geeignet sein. Ein derartig besonderer Fall liege vorliegend aber nicht vor.

In den Fällen der übrigen Verträge hat das BSG die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Vertrages der integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V bejaht. Insbesondere liege hier bei den beteiligten Leistungserbringern eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V vor. Auch ein weiteres wichtige Indiz sei gegeben. Es sei nämlich eine gesonderten Vergütung, die insgesamt die vereinbarte komplexe Behandlung abdecke, vereinbart worden.

3. SG Dessau, Urt. v. 28. Februar 2007 – S 4 KR 67/05

Im vom SG Dessau entschiedenen Fall ging es um Einbehalte zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung nach § 140d SGB V.

Die Klägerin war ein in Sachsen-Anhalt zugelassenes Krankenhaus. Die beklagte Krankenkasse hatte im I. Quartal des Jahres 2004 nicht den § 140d SGB V ab 01.01.2004 vorgesehenen Einbehalt von bis zu 1 % der Rechnungsbeträge vorgenommen, sondern die Rechnungen der Klägerin zunächst ungekürzt bezahlt.
Im Nachhinein holte dann die Beklagte diese Kürzungen nach, in dem sie die versäumten Einbehalte bei späteren Rechnungen der Klägerin nachträglich vornahm.

Das erkennende Gericht hat der Klage des Krankenhauses vollumfänglich in Höhe von € 51.790,85 nebst Zinsen stattgegeben.

Nach § 140b SGB V könne ein Einbehalt von Rechnungsbeträgen nur bis zum Zeitpunkt der Begleichung der jeweiligen Rechnung vorgenommen werden. Das Gericht hob dabei auch den Sinn des vom Gesetzgeber verwendenden Wortes „einzubehalten“ hervor: es sei nach der zunächst erfolgten Zahlung ein Einbehalt dem Wortsinne nach nicht mehr möglich.

Im Übrigen sei eine Aufrechnung nicht möglich, da keine fällige Gegenforderung bestehe. Sofern man einen Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB erwäge, habe die Beklagte jedenfalls nach § 814 BGB in Kenntnis einer Nichtschuld geleistet und könne daher das Geleistete nicht zurück fordern.

4. Anmerkungen

Die Entscheidungen verdienen im Ergebnis Zustimmung.

Der Gesetzgeber hat in den Vorschriften über die integrierte Versorgung in § 140a ff. SGB V genaue Vorgaben dazu gemacht, welche Anforderungen daran zu stellen sind. Berücksichtigt man, dass es aufgrund der für die integrierte Versorgung gemäß § 140d SGB V bereitzustellenden Mittel zu Verschiebungen hinsichtlich des Budgetumfangs kommt, ist angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die Finanzierungshoheit vor dem Hintergrund des Art. 12 GG eine enge Anwendung der Normen geboten.

Die Entscheidung des SG Dessau erscheint, auch wenn sie im Ergebnis zutreffend ausfällt, widersprüchlich. Eine Rückforderung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB käme nämlich nur in Betracht, wenn die Krankenkasse „ohne Rechtsgrund“ geleistet hätte. Dies war, wie das Gericht zuvor zutreffend ausgeführt hat, jedoch nicht der Fall. Die Ausführungen zu §§ 812 und 814 BGB waren demnach nicht notwendig.

Auf das Bestreiten der Klägerin, dass die Beklagte bereits Anfang 2004 Verträge über eine integrierte Versorgung geschlossen habe, welche schon in den Monaten Januar bis April 2004 eine Kürzung der Rechnungen um 1 % gerechtfertigt hätten, ging das Gericht nicht mehr ein. Insbesondere wurde nicht mehr geprüft, ob es sich bei zugrunde liegenden Verträgen um solche der integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff. SGB V handelt. Sofern keine Verträge oder solche, die die Anforderungen an Verträge der integrierten Versorgung gemäß §§ 140a SGB V nicht erfüllt hätten, vorgelegen haben sollten, wäre dies ein weiterer Gesichtspunkt gewesen, um der Klage des Krankenhauses stattzugeben.
(RH/LH)