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BGH, Urt. v. 15. März 2005 – VI ZR 289/03

Können sich aus den Wechselwirkungen eines Medikaments mit der während der Medikamenteneinnahme fortgesetzten Nikotinzufuhr der Patientin schwere Folgen für deren Lebensführung – hier Hirninfarkt und Schlaganfall – ergeben, so ist der verordnende Arzt trotz Warnhinweises in der Packungsbeilage des Pharmaherstellers verpflichtet, über die mit der Einnahme verbundenen Nebenwirkungen und Risiken zu informieren.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Die Klägerin begehrte Schadensersatz nach einer ärztlichen Behandlung durch eine Gynäkologin. Diese hatte der 1965 geborenen Klägerin, die Raucherin war, im November 1994 das Antikonzeptionsmittel „Cyclosa“, eine so genannte Pille der dritten Generation, zur Regulierung ihrer Menstruationsbeschwerden verordnet. Seit Ende Dezember 1994 nahm die Klägerin dieses Medikament ein. Im Februar 1995 erlitt sie einen Mediapartialinfarkt (Hirninfarkt, Schlaganfall), der durch die Wechselwirkung zwischen dem Medikament und dem von der Klägerin während der Einnnahme zugeführten Nikotin verursacht worden war. Aus den dem Medikament beiliegenden Gebrauchsinformationen („Beipackzettel“) ergab sich, dass für Raucherinnnen ein erhöhtes Risiko, an zum Teil schwer wiegenden Gefäßveränderungen (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall) zu erkranken, bestand. Frauen, die älter als 30 Jahre waren, sollten, da dieses Risiko mit zunehmendem Alter und steigendem Zigarettenkonsum zunahm, während der Medikamenteneinnahme nicht rauchen.

Nach Ansicht des BGH ist die Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin über die mit der Einnahme des Medikaments verbundenen Nebenwirkungen und Risiken hinzuweisen. Unter den gegebenen Umständen habe der Warnhinweis in der Packungsbeilage des nicht ausgereicht. Wegen der möglichen schweren Folgen, die sich für die Lebensführung der Klägerin bei Einnahme des Medikaments ergeben konnten und auch später verwirklicht haben, habe auch die Beklagte als verordnende Ärztin die Klägerin darüber aufklären müssen, dass das Medikament bei fortgesetztem Zigarettenkonsum das erhebliche Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls in sich trug. Nur dann hätte, so die Richter des BGH, die Klägerin ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben und sich entweder dafür entscheiden können, das Medikament einzunehmen und zugleich das Rauchen einzustellen, oder wenn sich nicht dazu in der Lage sah, das Rauchen aufzugeben, auf die Einnahme des Medikaments zu verzichten.

Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil dieses zwar auch von einer Aufklärungspflicht der Ärztin ausgegangen war, aber mit einer einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht Stand haltenden Begründung von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin in die Verordnung ausgegangen war.
(LH)