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BSG, Urt. v. 25. November 2010 – B 3 KR 4/10

Auf den Vergütungsanspruch eines Krankenhauses wirken sich Begleiterkrankungen im DRG-System nur aus, wenn dadurch zusätzliche Leistungen erforderlich werden und bei entsprechenden Nebendiagnosen im Fallpauschalen-Katalog eine höhere Bewertung der Krankenhausleistung vorgesehen ist.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Der Fall:
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus. Die bei der Beklagten Versicherte wurde dort vom 15.06. – 03.07.2004 wegen eines Lungenrundherdes und eines Nebennierenbefundes behandelt. Im Rahmen der Behandlung wurde eine Lungenoberlappenteilresektion vorgenommen, wobei operationsvorbereitend wegen eines alten Thrombosebefundes an der linken Venatibialis auch eine Phlebosonographie und eine Echokardiographie durchgeführt wurde. Der Entlassungsbericht wies einen „Zustand nach Lungenoberlappenteilresektion links“ sowie einen „Zustand nach Venatibialis Posterio-Thrombose links; Zustand nach Hüft-TEP links“ aus. Für diese Versorgung stellte die Klägerin auf der Grundlage der Fallpauschale für die DRG E01A („Große Eingriffe am Thorax mit äußerst schweren CC“) eine Vergütung in Höhe von 8.024,51 € der Beklagten in Rechnung. Nach Einholung einer Stellungnahme des MDK erachtete die Beklagte die DRG E01B als zutreffend („Große Eingriffe am Thorax ohne äußerst schwere CC“). Infolge dessen zahlte die Beklagte nur 5.905,75 €. Die Beklagte war der Auffassung, dass die im Entlassungsbericht gefasste Diagnose „Zustand nach Venatibialis Posterio-Thrombose links; Zustand nach Hüft-TEP links“ nicht als Nebendiagnose mit der ICD-10 I80.2 („Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis sonstiger tiefer Gefäße der unteren Extremitäten“) hätte codiert werden dürfen. Es habe sich nämlich offensichtlich um ein älteres Geschehen ohne akute Behandlungsbedürftigkeit gehandelt. Daher sei die Codierung nach DRGE01B vorzunehmen, mit der Folge eines entsprechenden geringeren Vergütungsanspruchs.

Nach erfolgloser Zahlungsklage legte die Klägerin Revision ein. Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere seien allein die Kodierrichtlinien 2004 für die Frage, ob eine Nebendiagnose zu Abrechnungszwecken codiert werden dürfe, heranzuziehen. Danach sei eine Diagnose als Nebendiagnose zu codieren, wenn diagnostische Maßnahmen ergriffen worden seien. Dies sei hier in Form der Phlebosonographie und Echokardiographie der Fall. Auf den Schweregrad der Diagnose oder dem Umfang der diagnostischen bzw. therapeutischen Maßnahmen komme es nicht an.

Die Entscheidung:
Das BSG erachtet die Revision als unbegründet.

Die im Krankenhaus vor dem Thoraxeingriff zu Recht durchgeführten Untersuchungen zur Abklärung von Thrombose-Risiken seien nämlich mit der Vergütung nach der DRG E01B vollständig abgegolten. Das BSG führt in seinem Urteil aus, dass die Abrechnungsrelevanz einer Nebenerkrankung voraussetzt, dass sie nach den Kodierrichtlinien kodierfähig ist und deshalb in die DRG-Bestimmungen dem Grunde nach eingehen kann. Das sei nach den Kodierrichtlinien 2004 (die im Wesentlichen nicht verändert wurden) dann der Fall, wenn die fragliche Nebendiagnose für das Versorgungsgeschehen tatsächlich bedeutsam geworden ist. Insoweit würden die Kodierrichtlinien 2004 den Begriff der Nebendiagnose als „eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt“ definieren. Weiter würde es in den Kodierrichtlinien 2004 heißen: „Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:

-therapeutische Maßnahmen
-diagnostische Maßnahmen
-erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand.

Krankheiten, die durch den Anästhesisten während der präoperativen Beurteilung dokumentiert worden seien, würden nur kodiert, wenn sie den oben genannten Kriterien entsprächen. Sofern das Standartvorgehen durch eine Begleitkrankheit für eine spezielle Prozedur beeinflusst werde, würde diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert. Anamnestische Diagnosen, die das Patientenmanagement nach der vorgehenden Definition nicht beeinflussen wie z. B. eine ausgeheilte Pneumonie vor 6 Monaten oder ein ausgeheiltes Ulkus werden nicht kodiert …..“

Erfordert also eine Begleiterkrankung besondere Leistungen der Diagnostik, der Therapie oder der Betreuung/Pflege mit Auswirkung auf das Patientenmanagement, so ist das für die Kodierung bei operativ zu versorgenden Haupterkrankungen beachtlich, wenn die Erbringung dieser Leistungen in der von der Fallpauschale für die Haupterkrankungen abgedeckten Standartversorgungen nicht vorgesehen ist. Solche kodierfähigen Nebendiagnosen seien nur dann auch erlöswirksam, wenn der zutreffend kodierten zusätzlichen Diagnose zusammen mit Hauptdiagnose und etwaigen weiteren prägenden Faktoren im DRG-Regelwerk eine andere Bewertungsrelation zukommt als der Hauptdiagnose für sich allein. Nach der Entscheidungslogik nach der DRG-Groupierung werde differenziert zwischen wichtigen und unbedeutenden Nebendiagnosen. Erlöswirksam sei eine Nebendiagnose deshalb nur, soweit sie sich bei zutreffender Verschlüsselung nach dem ICD10 aus der Entscheidungslogik des DRG-Fallpauschalen-Katalogs so ergibt. Vor diesem Hintergrund sei der diagnostizierte „Zustand nach Venatibialis Posterio-Thrombose links, Zustand nach Hüft-TEP links“ nicht mit der Nebendiagnose „Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis sonstiger tiefer Gefäße der unteren Extremitäten“ nach ICD-10 I 80.2 zu kodieren gewesen. Der bloße Verdacht einer Thrombose vor Durchführung der diagnostischen Maßnahmen rechtfertige eine Kodierung nach ICD-10 I 80.2 nicht. Eine derartige Kodierung würde nur in Frage kommen, wenn tatsächlich der aktuelle Zustand des Patienten dies rechtfertige. Der bloße Verdacht einer Thrombose zur Durchführung der diagnostischen Maßnahmen rechtfertige eine Kodierung nach ICD-10 I 80.2 in diesem Fall nicht.

Konsequenzen für die Praxis:
Der Entscheidung des BSG ist zuzustimmen. Bei der Kodierung von Nebendiagnosen ist vor dem Hintergrund des aktuellen Zustands des Patienten immer darauf abzustellen, welchen Inhalt die Nebendiagnose nach der ICD-10 Kodierung haben soll. Dies zugrunde gelegt scheint die Entscheidung des BSG richtig.
(RH)