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Oder: Der Einstieg in die „industrielle Pflegeproduktion“

Einst schickte sich der so bezeichnete Taylorismus an, die Arbeitsabläufe bei der industriellen Warenproduktion zu revolutionieren. Geschehen sollte dies unter anderem durch eine genaue Vorgabe der Arbeitsmethode sowie extrem detaillierte und zerlegte Arbeitsaufgaben. Ähnliches steht nun bei der Erbringung von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bevor. Das „Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG)“ wird den Einstieg in die „industrielle Pflegeproduktion“ bilden.

Detaillierte Vorgaben zu den Arbeitsmethoden haben die Pflegeeinrichtungen längst zu beachten. Sie sind gehalten, die geltenden Standards und die sich daraus ergebenden Arbeitsmethoden einzuhalten. Das PNG wird noch ungemein stärker als bisher auch eine Zerlegung der Arbeitsschritte fordern.

Anders als bislang sind mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 Vergütungen nämlich nach Zeitaufwand und unabhängig vom Zeitaufwand nach dem Leistungsinhalt des jeweiligen Pflegeeinsatzes, nach Komplexleistungen oder in Ausnahmefällen auch nach Einzelleistungen je nach Art und Umfang der Pflegeleistung zu bemessen; sonstige Leistungen wie hauswirtschaftliche Versorgung, Behördengänge oder Fahrkosten können auch mit Pauschalen vergütet werden.

Für die Zeit ab dem 01. Januar 2013 müssen die Vertragsparteien, also die Pflegeeinrichtung einerseits und der Pflegebedürftige anderseits, immer (!) eine von dem tatsächlichen Zeitaufwand eines Pflegeeinsatzes abhängige, alternative Vergütungsregelung treffen. Welche Leistungen nach welchem Vergütungssystem erbracht werden, vereinbaren die Pflegeeinrichtungen gemeinsam mit den Pflegebedürftigen. Der Pflegebedürftige kann zwischen beiden Vergütungssystemen wechseln.

Infolgedessen sind die Pflegeeinrichtungen gehalten, den Zeitaufwand für die einzelnen Pflegeverrichtungen „mit der Stoppuhr genau“ zu erfassen. Arbeitsabläufe sind unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Sie müssen in den vorgegebenen Zeitintervallen erledigt werden können. Anders wird eine wirtschaftliche Leistungserbringung nicht zu realisieren sein.

Nach Ansicht des Gesetzgebers korrespondieren Abrechnungen nach Zeitaufwand weitaus besser mit Betreuungsleistungen als die derzeit in der Praxis bevorzugte Abrechnung nach Leistungskomplexen. In Betracht zieht der Gesetzgeber insbesondere eine Stundenvergütung, die je nach tatsächlichem Aufwand an Zeit anteilig berechnet wird. Maßstab soll der tatsächliche Aufwand an Zeit vor Ort sein; Pauschalierungen sollen unzulässig sein. Die Vergütungen können also nicht so bemessen werden, dass zum Beispiel für jede angefangene Viertelstunde eine anteilige Stundenvergütung berechnet wird. Welche Leistungen der Pflegedienst in dieser Zeit erbringt, obliegt der freien Auswahl durch den Pflegebedürftigen.

Unangetastet lässt die Gesetzesänderung allerdings die Bemessung von Vergütungen, die vom tatsächlichen Zeitaufwand eines Pflegeeinsatzes unabhängig sind. Hier können die Vertragsparteien unverändert Vergütungen vereinbaren, die sich zum Beispiel am typischen Leistungsinhalt des jeweiligen Pflegeeinsatzes orientieren oder eine Komplexleistung darstellen. Auch weiterhin können für sonstige Leistungen, wie zum Beispiel hauswirtschaftliche Versorgung, Behördengänge oder Fahrkosten, pauschalierte Vergütungen vereinbart werden. Die Regelung verpflichtet jedoch die Vertragsparteien auch zur Vereinbarung von Vergütungen, die vom tatsächlichen Zeitaufwand eines Pflegeeinsatzes unabhängig sind.

Erreicht werden soll mit der Gesetzesänderung auch, dass Pflegebedürftige sich flexibler als bisher und orientiert an ihren persönlichen Bedürfnissen die Leistungen, die Pflegeeinrichtungen im Rahmen von Pflegeeinsätzen erbringen, zusammenstellen. Um Pflegebedürftigen die Gestaltungsmöglichkeiten bei der inhaltlichen und zeitlichen Zusammenstellung der individuell gewünschten Hilfeleistungen auch tatsächlich zu eröffnen, werden die Vertragsparteien gesetzlich verpflichtet, generell eine alternative Vergütungsregelung zu vereinbaren.

Wie die Gesetzesänderung praktisch gelebt werden soll, ist allerdings derzeit noch schleierhaft. Mit den Kostenträgern ist noch keine Vereinbarung zu den abrechenbaren Zeiten und Preisen gefunden. Ob und wie der gesetzliche Anspruch auf Bezahlung nach Zeitkontingenten erfüllt werden kann, ist derzeit also noch unklar.

Klar ist nur eines: An der Art und Weise der Versorgung der Versicherten soll sich nichts ändern.

Versicherte, die Fragen zum neuen System haben, sollten sich vertrauensvoll an die für sie zuständige Pflegekasse wenden. Von dort erhalten sie die notwendige Beratung.
(LHW)