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BSG, Urt. v. 08. September 2009 – B 1 KR 11/09

Das Krankenhaus ist nach Treu und Glauben mit Nachforderungen ausgeschlossen, wenn es in der zunächst erteilten „Schlussrechnung“ keinen ausdrücklichen oder auch nur sinngemäßen Vorbehalt erklärt und es sich auch nicht bloß um die Korrektur eines offen zutage liegenden Fehlers der ersten Abrechnung handelt.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Der Hintergrund:
Der klagenden Krankenhausträger hatte den Versicherten der beklagten Krankenkasse in der Zeit vom 6. bis 18. Mai 2005 stationär behandelt. Am 11. Mai 2000 erfolgte eine Koronarangiographie des Versicherten, am Folgetag eine Ballon-Dilatation (PTCA).

In seiner so bezeichneten „Endrechnung“ vom 15. Juni 2000 forderte das Krankenhaus insgesamt 7.801,86 Euro (15.259,12 DM); zugrunde lag dieser Rechnung neben Basis- und Abteilungspflegesatz für den 11. Mai 2000 das Sonderentgelt 21.02 („Linksherzkatheteruntersuchung bei Ein- und Mehrgefäßerkrankungen mit Koronarangiographie und Dilatation eines oder mehrerer koronarer Gefäße , ggf. mit Anlage eines temporären Schrittmachers, einschließlich der Kontrastmitteleinbringung und Durchleuchtungen während des Eingriffs, ggf. auch mehrfach während des stationären Aufenthalts, nicht zusätzlich abrechenbar zu den Sonderentgelten 20.02 und 21.01“).

Die Beklagte zahlte umgehend.

Mit Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 KR 30/01 R entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem andere Beteiligte betreffenden Rechtsstreit, dass das Sonderentgelt 21.02 nur angesetzt werden kann, wenn die Herzkatheteruntersuchung und Ballon-Dilatation in einem Eingriff zusammen erbracht werden. Andernfalls liege keine Kombinationsleistung im Sinne des Sonderentgelts 21.02 vor und es sei nach den Sonderentgelten 21.01 und 20.02 abzurechnen.

Dies nahm das Krankenhaus zum Anlass, der Beklagten am 23. Juli 2002 eine neue „Endabrechnung“ zu stellen. Neben Basis- und Abteilungspflegesatz wurde der Beklagten darin nunmehr für den 11. Mai 2000 das Sonderentgelt 21.01 und für den 12. Mai 2000 das Sonderentgelt 20.02 zuzüglich QS-Zuschlag in Rechnung gestellt. Gegenüber der ersten Rechnung ergab sich ein Zusatzbetrag von € 841,38.

Die Beklagte lehnte die Begleichung der Nachforderung ab. Sie machte geltend, sie habe im Einklang mit § 13 des Sicherstellungsvertrags Niedersachsen (KBV Nds) nach § 112 SGB V auf die Richtigkeit der ersten Endabrechnung vertraut. Das Krankenhaus habe keinerlei Vorbehalte hinsichtlich einer Nachforderung gemacht.

Das Sozialgericht hat die Klage auf Zahlung des geforderten Restbetrags nebst Zinsen abgewiesen. Das Landessozialgericht hat – nach Zulassung der Berufung – die Krankenkasse zur Zahlung verurteilt: Die Nachberechnung sei weder nach § 13 KBV Nds – entsprechend dem KBV Rheinland-Pfalz (KBV RP) – noch nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Dagegen hat die Krankenkasse Revision eingelegt und eine Verletzung des § 109 Abs. 4 SGB V sowie des § 13 KBV Nds gerügt.. Einer Krankenkasse müsse es im Interesse ihrer Finanzplanung möglich sein, bei Erhalt einer Schlussrechnung darauf zu vertrauen, dass das Krankenhaus keine Nachforderungen stelle.

Die Entscheidung:
Das BSG hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Berufung des Krankenhauses gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen, weil das Krankenhaus ist mit seinem Begehren auf zusätzliche Vergütung ausgeschlossen ist.

Zwar war die Beklagte verpflichtet, die Krankenhausbehandlung des Versicherten zu vergüten. Auch habe das Krankenhaus in seiner ersten Rechnung für die 11. und 12. Mai 2000 erbrachten Leistungen die Sonderentgelte 20.02 und 21.01 ansetzen dürfen.

Indes war, so das BSG in seinem Urteil weiter, das Krankenhaus nach der ersten Endabrechnung vom 15. Juni 2000 nach Treu und Glauben gleichwohl mit seiner Nachforderung vom 23. Juli 2002 ausgeschlossen.

Ausgangspunkt hierfür sei § 13 KBV Nds. Diese Vorschrift sei auch revisibel, weil sie sich bewusst in vergleichbarer Form in vielen Landesverträgen zu § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V wiederfinde, beispielsweise in § 9 KBV RP .

Gemäß § 13 Abs. 1 KBV Nds werde der zuständigen Krankenkasse nach Beendigung der Krankenhaus-Behandlung in der Regel innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung eine Schlussrechnung übersandt. Für laufende Fälle könnten nach Maßgabe des Abs. 3 Zwischenrechnungen – die als solche zu kennzeichnen sind – erstellt werden. Die Krankenkasse habe nach § 13 Abs. 6 KBV Nds die Rechnung unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen nach Rechnungsdatum zu bezahlen. Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art könnten auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht und Differenzbeträge verrechnet werden.

Die Erteilung einer Schlussrechnung im Sinne des § 13 Abs 1 KBV Nds schließe nicht umfassend und ausnahmslos Nachforderungen aus. Vielmehr richte sich die Zulässigkeit von Nachforderungen mangels ausdrücklicher Regelung gemäß dem über § 69 Satz 3 SGB V a.F. auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse einwirkenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach Treu und Glauben. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten. Ihnen seien die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen sei von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten.

Einerseits sei den Krankenhäusern sei bekannt, dass die Krankenkassen aufgrund des laufenden Ausgabenvolumens die Höhe ihrer Beiträge – grundsätzlich bezogen auf das Kalenderjahr – kalkulieren müssen. Vor diesem Hintergrund seien die Krankenkassen auf tragfähige Berechnungsgrundlagen und müssten sich grundsätzlich auf die „Schlussrechnung“ eines Krankenhauses verlassen können.

Das Krankenhaus verfüge für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung – anders als die Krankenkasse – umfassend über alle notwenigen Informationen. Das Krankenhaus sei regelmäßig in der Lage, professionell korrekt abzurechnen und sich ggf. stellende Abrechnungsprobleme zu erkennen. Hinzu komme, dass die Abrechnungsbestimmungen gezielt einfach strukturiert seien, um ihre sachgerechte Anwendung zu ermöglichen. Dementsprechend erfolge ihre Anwendung allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln, ergänzend auch nach dem systematischen Zusammenhang; Bewertungen und Bewertungsrelationen blieben dagegen außer Betracht.

Bestünden auf Seiten eines Krankenhause dennoch Unsicherheiten bei der Anwendung von Abrechnungsbestimmungen, sei es – so das BSG weiter – Aufgabe der Vertragspartner, die Abrechnungsbestimmungen durch Weiterentwicklung z.B. der Fallpauschalen- oder Sonderentgelt-Kataloge und der Abrechnungsbestimmungen zu beheben. Komme es dabei zu keiner Einigung, sei zunächst die Schiedsstelle (vgl. § 18a Abs. 6 KHG) anzurufen (§ 15 Abs. 3 BPflV), bevor sich die Gerichte mit Fragen der Angemessenheit von Vergütungen befassen könnten.

Von alledem seien die eng untereinander vernetzten Krankenhäuser regelmäßig informiert. Ihnen sei es deshalb zumutbar, bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der „Schlussrechnung“ explizit Vorbehalte zu erklären, die den Krankenkassen den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent machten. Solche Vorbehalte wären nach § 13 Abs 1 KBV Nds zulässig. Die Übersendung der Schlussrechnung werde den Krankenhäusern dort nämlich nur „in der Regel innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung“ abverlangt.

Andererseits könnten die Krankenkassen sich aber auch nicht ausnahmslos gegenüber Nachforderungen des Krankenhauses nach Erteilung einer Schlussrechnung auf das Fehlen eines Vorbehalts des Krankenhauses in der Rechnung berufen. Vielmehr gehöre es auch zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach Treu und Glauben, dass Krankenkassen je nach der Art des Fehlers bereit sein müssten, die Fehler durch das Krankenhause korrigieren zu lassen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen, so das BSG abschließend, war das Krankenhaus nach Erteilung der Schlussrechnung vom 15. Juni 2000 mit seiner Nachforderung vom 23. Juli 2002 nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Es hatte keinen ausdrücklichen oder auch nur sinngemäßen Vorbehalt in seiner ersten Schlussrechnung erklärt. Es handelte sich auch nicht bloß um die Korrektur eines offen zutage liegenden Fehlers der ersten Abrechnung. Vielmehr wies die erste Rechnung als Leistungstag für das Sonderentgelt lediglich den 11. Mai 2000 aus. Der beklagten Krankenkasse konnte sich aufgrund dieser Abrechnung in keiner Weise erschließen, dass mit dem für einen Tag angesetzten Sonderentgelt tatsächlich an zwei Tagen erbrachte Leistungen abgerechnet werden sollten. Die korrigierende Nachforderung des Klägers erfolgte auch nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Beklagten, sondern erst mehr als zwei Jahre nach Übersendung und Bezahlung der ersten Rechnung. Krankenkassen müssten indes nicht hinnehmen, dass Krankenhäuser innerhalb der Verjährungsfristen durch Nachforderungen trotz erteilter Schlussrechnung ihre Abrechnung nachträglich optimierten.

Konsequenzen für die Praxis:
Anzumerken bleibt zunächst, dass die Regelung des § 14 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 BPflV betrifft nur die Frage der hier nicht relevanten doppelten Abrechnung desselben Sonderentgelts bei Wiederholung einer medizinischen Maßnahme sowie die Frage der Abrechnung zweier verschiedener Sonderentgelte im Falle der gleichzeitigen, also in einem Eingriff zusammengefassten, Durchführung zweier Maßnahmen. Im Falle der Sonderentgelte 21.01 und 20.02 ist jedoch eine parallele Abrechnung jedenfalls dann rechtlich zulässig, wenn die gleichzeitige Durchführung der Leistungskomplexe aus medizinischen Gründen nicht angezeigt ist.

Aus Sicht des Krankenhausträgers bleibt aus der Entscheidung festzuhalten, dass es sich aus Sicht der Krankenkassen bei erteilter „Schlussrechnung“ um eine endgültige Abrechnung handelt, die Nachforderungen ausschließt. Sind Nachforderungen denkbar, etwa weil Unsicherheit über die Abrechnungsbestimmungen und deren Anwendung besteht, so ist es für das Krankenhaus ratsam, einen Vorbehalt zu erklären. Bei erklärten Vorbehalt wird die Krankenkasse sich dann jedenfalls schwerlich auf das vorliegende Urteil berufen können.
(LH)