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BSG, Urt. v. 02. November 2010 – B 1 KR 11/10 R

1.) Begleicht eine Krankenkasse Rechnung eines Krankenhauses für die Behandlung ihrer Versicherten zunächst vorbehaltlos, ist es der Krankenkasse verwehrt, im Nachhinein einen Rechnungseinbehalt gemäß § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V zur Förderung der intergrierten Versorgung vorzunehmen.
2.) Sind tatsächlich noch keine Verträge zur integrierten Versorgung geschlossen oder genügen diese nicht den hieran zu stellenden inhaltlichen Anforderungen , so besteht keine Berechtigung der Krankenkasse zum Rechnungseinbehalt nach § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V.

(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Fall:
Die Beteiligten stritten über die Einbehaltung von Rechnungsteilbeträgen im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung für Maßnahmen der integrierten Versorgung.

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zur Behandlung der Versicherten zugelassenen Krankenhauses. Unter dem 7.4.2004 schrieb die beklagte AOK der Klägerin, sie habe nunmehr „die technischen Voraussetzungen für den Abschlag für die integrierte Versorgung im Einsatz“. Sie habe seit Beginn des Jahres Verträge zur integrierten Versorgung nach § 140a SGB V abgeschlossen und sei somit berechtigt, den Abschlag in Höhe von 1 % einzubehalten. Um der Klägerin die Möglichkeit der Umstellung zu geben, werde sie gebeten, ihre Systeme kurzfristig bis spätestens 1.5.2004 umzustellen. Andernfalls würden entsprechende Beträge automatisch gekürzt. Sie werde die bereits bezahlten Rechnungen betreffend Krankenhausaufnahmen ab 1.1.2004 maschinell zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend kürzen und über ihr Vorgehen noch informieren.

Die Beklagte hielt sich mit Blick auf ihre Verträge über integrierte Versorgung mit der Saaleklinik/Diakoniekrankenhaus, der Saaleklinik/Elisabeth-Krankenhaus, der Praxisklinik Sudenburg, dem Diakonissenkrankenhaus Dessau, Hausärzten und Fachärzten für berechtigt, 71.322,88 Euro von einer unstreitig zu bezahlenden Rechnung der Klägerin aus dem Monat Februar 2005 abzuziehen. Der Betrag entsprach 1 % der Rechnungssumme der mit der Beklagten abgerechneten Krankenhausfälle der Klägerin aus dem Zeitraum von Januar bis Ende April 2004 (Schreiben vom 11.2.2005 nebst Einzelaufstellung). Die Beklagte bezahlte deshalb die Sammelrechnung der Klägerin nur in gekürztem Umfang.

Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 71.322,88 Euro nebst 4 % Zinsen verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht unter Verschiebung des Verzinsungsbeginns auf die Zeit ab Rechtshängigkeit zurückgewiesen: Die Beklagte habe den Zahlbetrag nicht von Rechnungen der Klägerin „einbehalten“, wozu sie allein berechtigt gewesen sei, sondern die Rechnungen zunächst vollständig beglichen und die Kürzung erst später ohne Rechtsgrundlage geltend gemacht. Sie habe zudem ermessensfehlerhaft Abzüge in Bezug auf Verträge über integrierte Versorgung vorgenommen, die sie noch gar nicht abgeschlossen, sondern deren Abschluss sie bloß geplant habe. Eine Teilung der einheitlichen Ermessensentscheidung komme nicht in Betracht.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 140d SGB V und der Rechtsgedanken des § 812 BGB. Sie, d.h. die Beklagte, habe die zunächst unterlassenen Rechnungseinbehalte für Behandlungen ab Anfang 2004 noch im Februar 2005 geltend machen dürfen. Dass die einschlägigen Verträge erst zum 1.7.2004 geschlossen worden seien, sei unschädlich. Es genüge, dass die Beklagte überhaupt im Jahr 2004 Verträge über eine integrierte Versorgung abgeschlossen habe, die im Rahmen eines Dreijahreszeitraums die Höhe des Einbehalts von 1 % der Abrechnungen rechtfertigten.

Die Entscheidung:
Der Senat hat die Revision der beklagten AOK zurückgewiesen.

Ihr stand keine Gegenforderung aus der Einbehaltung von Mitteln zwecks Anschubfinanzierung von Maßnahmen der integrierten Versorgung im Zeitraum Januar bis Ende April 2004 zu, die sie gegenüber der unstreitigen Forderung der klagenden Krankenhausträgerin auf Vergütung von Krankenhausbehandlung gemäß ihrer Sammelrechnung aus Februar 2005 mit Erfolg geltend machen konnte.

Die Beklagte hat bis zum Zugang ihres Schreibens vom 7.4.2004 bei der Klägerin überhaupt keine Mittel „einbehalten“, was eine Aufrechnung oder Zahlung unter Vorbehalt vorausgesetzt hätte, sondern hat die Rechnungen der Klägerin ohne Wenn und Aber bezahlt.

Zu den anschließend angekündigten (Schreiben vom 7.4.2004) und später realisierten Einbehalten war die Beklagte in der Sache nicht berechtigt. Die Beklagte benötigte nämlich keine Mittel zwecks Anschubfinanzierung von Maßnahmen der integrierten Versorgung, da bis Ende April 2004 einschlägige Verträge fehlten.

Teilweise waren die Verträge noch überhaupt nicht geschlossen. Das Gesetz verlangt in § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V aber schon nach seinem klaren Wortlaut, dass die Mittel für die Umsetzung „geschlossener“ Verträge erforderlich sein sollen, nicht etwa aber auch für Verträge, die sich erst noch im Planungs- oder Verhandlungsstadium befinden.

Im Übrigen erfüllten die Verträge nicht die inhaltlichen Mindestvoraussetzungen, um eine integrierte Versorgung rechtlich leisten zu können. So ist für die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten mit einem Krankenhaus ein Vertrag zwischen Krankenkasse, Krankenhaus und Vertragsärzten erforderlich, nicht bloß wie hier zwischen AOK und Krankenhaus oder AOK und Praxisklinik.

Konsequenzen für die Praxis:
Soweit entsprechende Forderungen noch nicht verjährt sind, lohnt eine Nachforderung durch von Rechnungseinbehalten betroffene Krankenhäuser.

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(LH)