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SG Hannover, Gerichtsbescheid v. 28. April 2010 – S 19 KR 961/08

Es widerspricht dem Gebot der humanen Krankenbehandlung, eine Patientin mit Herzbeschwerden und Luftnot unter Hinweis auf den ohnehin bevorstehenden Tod nicht in die Krankenhausbehandlung aufzunehmen.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Der Fall:
Die Beteiligten stritten um eine Krankenhausvergütungsforderung, wobei isnbesondere die Abgrenzung zwischen stationärer Behandlungsnotwendigkeit und Sterbebegleitung streitbefangen war.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Patientin F. wurde in der Zeit vom 20. bis 25. März 2006 im Hause der Klägerin stationär behandelt. Die Aufnahme erfolgte rettungsdienstbegleitet auf Einweisung des Hausarztes wegen einer weiteren Linksherzdekompensation sowie Atemnot. Die Patientin verstarb am 25. März 2006.

Mit Rechnung vom 11. Dezember 2007 rechnete die Klägerin für die Behandlung einen Betrag von knapp € 2.500 ab. Die Beklagte hielt eine Krankenhausaufnahme nicht für erforderlich und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung der Kodierung. Sie rügte hierbei zunächst die Kodierung der Nebendiagnose J96.0. In einem Gutachten des MDK vom 11. September 2009 führte dieser aus, dass keine medizinische Indikation für eine stationäre Behandlung in einem Akutkrankenhaus vorgelegen hätte. Bei den erbrachten Leistungen habe es sich um eine Sterbebegleitung gehandelt. Dieses Ergebnis wurde durch das zweite MDK-Gutachten vom 05. Mai 2008 bestätigt.

Die Klägerin verfolgte ihr Vergütungsbegehren weiter. Sie führte unter eingehender Darstellung des Erkrankungsbildes aus, dass eine erneute Dekompensation des Aortenvitiums mit ungewissem Ausgang vorgelegen habe. Das Versterben der Patientin einige Tage später sei nicht absehbar gewesen. Folgerichtig sei die Patientin stationär aufgenommen worden und behandelt worden. Die im Einzelnen dargestellten durchgeführten Behandlungen hätten das Ziel verfolgt, im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten die Dekompensation zurückzuführen und die damit verbundenen Krankheitsbeschwerden zu lindern. Sowohl aus der ex-ante-Sicht als auch aus der ex-post-Sicht habe eine eindeutige Indikation zur Krankenhausaufnahme und Krankenhausbehandlung bestanden, die auch durch die GAEP Kriterien gestützt wurde.

Die Entscheidung:
Das SG Hannover hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung anlässlich der Behandlung der Patientin F. in der Zeit vom 20. März 2006 bis 25. März 2006.

Rechtsgrundlage  Vergütungsanspruchs der Klägerin sei § 109 Abs. 4 S.  3 SGB V sowie der zwischen den Beteiligten geschlossene Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zur „Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung“.

Die Zahlungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen entstehe unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Die Krankenkasse sei bei einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V) als Korrelat zu dessen Behandlungspflicht auch ohne zusätzliche vertragliche Vereinbarung verpflichtet, die festgelegten Entgelte zu zahlen, sofern die Versorgung im Krankenhaus erforderlich ist .

Die Entscheidung darüber, ob dem Versicherten ein Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung als Sachleistung zusteht und ob die stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, obliege nicht dem Krankenhaus, sondern der Krankenkasse, gegen die sich der Anspruch richtet. Werde der Patient ohne vorherige Konsultation der Krankenkasse stationär aufgenommen, so entscheide diese über den Behandlungsanspruch indirekt, indem sie, erforderlichenfalls nach Einschaltung des MDK, eine in der Regel befristete Kostenzusage (Kostenübernahmeerklärung) erteilt. In jedem Falle habe die Krankenkasse vor ihrer Entscheidung die Erforderlichkeit der stationären Behandlung eigenständig und ohne Bindung an die Beurteilung des zuständigen Krankenhausarztes zu prüfen

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen lasse sich eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit bejahen. Die stationäre Krankenhausbehandlung sei objektiv erforderlich gewesen; sie stelle weder eine Sterbebegleitung dar, noch hätte sie im ambulanten Bereich erbracht werden können.

Bei der Patientin F. bestand eine globale Herzinsuffizienz, eine Linksherzinsuffizienz mit Beschwerden in Ruhe, eine akute respiratorische Insuffizienz, eine Aortenklappenstenose mit Insuffizienz, ein Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie, ein Delia und eine Hypokaliämie.

Nach der Aufnahme wurde eine Notfalldiagnostik durchgeführt und zunächst eine medikamentöse Therapie der dekompensierten Herzinsuffizienz eingeleitet. Zur Behandlung des Delirs wurde weiterhin eine medikamentöse Therapie durchgeführt. Hiernach war der Verlauf bestimmt durch eine symptomorientierte und überwiegend palliative, das heißt auf Linderung bedachte Therapie bei Auftreten eines Psychosyndroms mit Verwirrtheit. Im Rahmen der Behandlung seien die besonderen Mittel des Krankenhauses durch ärztliche Behandlung und aufwändige pflegerische Versorgung zum Einsatz gekommen. Die Krankenhausbehandlung sei medizinisch begründet gewesen und habe nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung gestanden.

Aufgrund der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen sei die Behandlung auch nicht als Sterbebegleitung, sondern vielmehr als stationäre Krankenhausbehandlung zu qualifizieren. Eine Versorgung im ambulanten Bereich sei aufgrund der besonderen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht möglich gewesen. Eine Hospizbehandlung sei ebenfalls nicht angezeigt gewesen, da die instabile Gesundheitssituation der Patientin eine durchgehende Arztpräsenz notwendig gemacht hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten bestünden keine Anhaltspunkte für eine unrichtige, unsorgfältige oder unvollständige Beurteilung. Es sei nicht zutreffend, dass der Gutachter wesentliche medizinische Aspekte nicht erkannt habe und andere Aspekte, wie die Durchführung der Medikation in einem anderen Umfeld. Die Einwendungen der Beklagten sind durch die ergänzende gutachterliche Stellungnahme des G. vom 23. Februar 2010 vollständig und umfassend abgeklärt worden und konnten danach nicht verifiziert werden.

Unabhängig von der festgestellten medizinischen Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung stütze sich der Vergütungsanspruch der Klägerin ergänzend auf § 70 Abs. 2 SGB V. Die Leistungsverweigerung der Beklagten verstoße in eklatanter Weise gegen das Humanitätsgebot. Nach der Vorschrift des § 70 Abs. 2 SGB V haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.

Die Vorschrift richte sich an Krankenkassen und Leistungserbringer und sei bei der Auslegung, ob und in welcher Weise Versicherte Anspruch auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung haben, als Auslegungsrichtlinie zu berücksichtigen. Dabei komme der Verpflichtung zur Herbeiführung einer humanen Krankenbehandlung gerade Bedeutung bei der Abwägung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu. Sie werde demgemäß in gerichtlichen Auseinandersetzungen über einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung in der Weise herangezogen, dass sie diesen stützen soll. Hiernach erschiene es nicht nur inhuman, sondern geradezu verwerflich, eine Patientin mit Herzbeschwerden und Luftnot unter Hinweis auf den ohnehin bevorstehenden Tod nicht in die Krankenhausbehandlung aufzunehmen.
(LH)