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SG Leipzig, Urteile v. 21. April 2010 – S 8 KR 381-385/09

1. Bei Einschaltung des MDK zur Überprüfung von Krankenhausrechnungen, die vor dem 01. April 2007 gelegt und bezahlt wurden, wird der Anspruch auf Rückforderung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB durch die Beauftragung des MDK gehemmt.
2. Die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB gilt bei Einleitung des gesetzlich nach dem SGB V vorgeschriebenen Begutachtungsverfahrens im Leistungserbringerrecht entsprechend.

(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Fall:
Nach Abschluss der stationären Krankenhausbehandlung durch die Klägerin legte sie gegenüber der beklagten Krankenkasse am 20. April 2004 Schlussrechnung. Die Beklagte bezahlte die Rechnung zunächst vorbehaltlos und vollständig.

Am 27. August 2008 zeigte der Medizinische Dienst die Überprüfung der Schlussrechnung an und bat die Klägerin um Übersendung der Patientenunterlagen. Aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes vom 30. Januar 2009 konnten die streitbefangenen stationären Krankenhausleistungen so nicht abgerechnet werden.

Die Beklagte verrechnete daraufhin im April 2009 in Teilbeträgen den seinerzeit zunächst gezahlten Rechnungsbetrag.

Das Krankenhaus berief sich auf die Verjährung des Rückforderungsanspruchs der Krankenkasse und verlangte die vollständige Bezahlung der Rechnungen aus dem Jahr 2009.

Die Entscheidung:
Das Sozialgericht Leipzig hat die Klage abgewiesen.

Zur Rechtsfrage führte das Gericht aus, dass nach damaliger Rechtslage im Jahre 2004 die Überprüfungsmöglichkeit durch den Medizinischen Dienst noch nicht auf 6 Wochen begrenzt war (ab 01. April 2007 aber gemäß § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V). Auch vertraglich sei von den Beteiligten keine Regelung zur Verjährung getroffen worden. Daher habe grundsätzlich die 4-jährige Verjährungsfrist entsprechend § 45 SGB I gegolten.

Die Klägerin habe zu Unrecht gegen den geltend gemachten Zahlungsanspruch die Einrede der Verjährung erhoben. Die Verjährung sei gehemmt gewesen. Noch vor Ablauf der Verjährung am 31. Dezember 2008 habe der Medizinische Dienst am 27. August 2008 mit der Anzeige der Überprüfung und der Bitte um Übersendung der Patientenunterlagen die Verjährung gehemmt.

Der Verjährungshemmung liege die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB zugrunde. Diese regele zwar ausdrücklich nur die Verjährungshemmung bei Beginn eines „vereinbarten Begutachtungsverfahrens“. Der Wortlaut der Vorschrift stehe einer entsprechenden Anwendung in vorliegender Konstellation aber nicht entgegen.

Der Gesetzgeber habe mit der Einschränkung auf „vereinbarte Begutachtungsverfahren“ nur ausschließen wollen, dass eingeleitete Gutachten ohne Kenntnis der anderen Partei die Verjährung hemmen können. Vorliegend sei den Beteiligten jedoch bewusst gewesen, dass vor Eintritt der Verjährung eine Rückforderung der Krankenkasse gegen das Krankenhaus von Gesetzes wegen nicht ausgeschlossen war. Dies sei auch sachgerecht, weil anderenfalls das Krankenhaus durch die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen den Eintritt der Verjährung selbst herbeiführen könne.

Auch den Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit ließ das Sozialgericht Leipzig schließlich nicht gelten und verwies die Klägerin darauf, dass sie vielmehr ihrer nach § 66 SGB I obliegende Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.

Konsequenzen für die Praxis:
Nach der Entscheidung des SG Leipzig wäre bei Anwendbarkeit des § 275 SGB V in der Fassung von vor dem 01. April 2007 die Verrechnung eines Rückforderungsanspruchs seitens des Kostenträgers mit einer Gegenforderung des Leistungserbringers bis zum Eintritt der Verjährung gemäß § 45 SGB I möglich: Bei Einleitung eines Begutachtungsverfahrens durch den MDK tritt in entsprechender Anlehnung des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB überdies eine Hemmung der Verjährung ein.

Die Entscheidung des SG Leipzig steht nicht mit dem Willen des Gesetzgebers, wie er mit der Gesetzesänderung vom 01. April 2007 gemäß § 275 Abs. 1c SGB V zum Ausdruck gekommen ist, im Einklang. Der Gesetzgeber hatte seine Auffassung zur Beschleunigung der Begutachtungsverfahren nunmehr in der Vorschrift des § 275 Abs. 1c SGB V festgeschrieben. Die entsprechende Anwendbarkeit von § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB steht insoweit nicht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers zur Beschleunigung der Begutachtungsverfahren.

Eine Regelungslücke, die eine entsprechende Anwendung denkbar werden ließe, ist auch insoweit nicht vorhanden. Die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Hätte der Gesetzgeber auch gewollt, dass die Verjährung bei gesetzlich geregelten Begutachtungsverfahren gehemmt wird, hätte er dies sowohl im Rahmen der Verjährungsvorschriften des BGB als auch in den einschlägigen Vorschriften des SGB V regeln können. Beides hat er nicht getan.

Auch aus der Gesetzesbegründung zu § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB ergibt sich nicht, dass eine entsprechende Anwendbarkeit der Hemmungsvorschrift geboten ist.

Zu fragen bleibt nicht zuletzt auch, ob durch Einleitung des Begutachtungsverfahrens seitens des Medizinischen Dienstes überhaupt rechtlich relevant eine Verjährungshemmung möglich ist. Das BSG hat nämlich bereits entschieden, dass der Medizinische Dienst kein Erfüllungsgehilfe des Kostenträgers sein kann und vielmehr in eigener Verantwortung handelt.

Die Entscheidung des SG Leipzig ist daher als verfehlt anzusehen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bleibt zunächst abzuwarten.
(RH)