LSG Nordhrein-Westfalen, Urteil vom 04.Juli 2013 – L 16 KR 646/12 KL u.a.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordhrein – Westfalen in Essen hat mit Urteil vom 04.07.2013 – L 16 KR 646/12 KL u.a. entschieden, dass das Bundesversicherungsamt (BVA) das Berechnungsverfahren für die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen für das Jahr 2013 ändern muss.
Was war passiert?
Die Kassen erhalten seit 2009 aus dem Gesundheitsfonds u.a. Zuweisungen zur Deckung ihrer Leistungsausgaben, die sich aus einer Grundpauschale und alters-, geschlechts- und risikoadjustierten Zu- und Abschlägen zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen zusammensetzen.
Bei der Berechnung der Zu- und Abschläge wendet das BVA seit 2009 ein Berechnungsverfahren an, das zwar die Ausgaben für Verstorbene nicht vollständig berücksichtigt und von wissenschaftlichen Empfehlungen der Gesundheitsökonomie abweicht, nach damaligen Berechnungen des BVA aber für den Risikoausgleich geeignet erschien. Schon früher war das Berechnungsverfahren kritisiert worden; der beim BVA gebildete wissenschaftliche Beirat hatte im September 2009 eine Änderung entsprechend dem international üblichen Vorgehen empfohlen. Nachdem der wissenschaftliche Beirat in seinem Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 vom Juni 2011 festgestellt hatte, dass das bisherigen Berechnungsverfahren systematisch zu deutlichen Unterdeckungen bei älteren Versicherten und Versichertengruppen mit Krankheiten mit hoher Mortalität (Sterblichkeit) und umgekehrt zu Überdeckungen bei jüngeren Versicherten führt und eine Änderung der Berechnung entsprechend dem international üblichen Vorgehen zu einer weitgehenden Beseitigung dieser Verzerrungen führt, beabsichtigte das BVA aufgrund dieser Erkenntnisse das Berechnungsverfahren entsprechend der Empfehlung des wissenschaftliche Beirats zu ändern.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat jedoch im Wege der Aufsicht diese Änderung untersagt.
Was sagt das LSG Essen dazu?
Das LSG Essen hat nun auf Klage von zwei Krankenkassen entschieden, dass aufgrund des Evaluationsberichts gesicherte Erkenntnisse dazu vorlagen, dass das bisherige Berechnungsverfahren zu systematischen Verzerrungen führt und daher nicht geeignet ist, wie vom Gesetz gefordert, Anreize zur Risikoselektion zu vermeiden.
Das kann aber mit der vorgeschlagenen Änderung des Berechnungsverfahrens erreicht werden.
Daher sei das BVA verpflichtet, sein Berechnungsverfahren für das Jahr 2013 zu ändern; weder ihm noch dem BMG stehe insoweit ein Freiraum zu, von einer Änderung im Hinblick auf weitere im Evaluationsbericht benannte Unzulänglichkeiten der Ermittlung der Zuweisungen abzusehen und eine evtl. Änderung erst im Rahmen einer „Gesamtlösung“ vorzunehmen.
Dagegen sind die Klagen von vier Kassen, die eine Änderung des Berechnungsverfahrens auch schon für die Jahre vor 2013 gefordert hatten, abgewiesen worden, weil erst durch den Evaluationsbericht gesicherte Erkenntnisse zur Notwendigkeit einer Änderung der Berechnung vorgelegen hätten.
In allen Fällen ist die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen worden.
Was lernen wir daraus?
Das LSG Essen hat richtig entschieden. Wenn ein gesicherter Evaluationsbericht zum Risikostrukturausgleich im Widerspruch zu den bestehenden einschlägigen gesetzlichen Regelungen steht, sind diese an die Feststellungen in dem Evaluationsbericht anzupassen. Die gesetzlichen Regelungen sollen einen gerechten Ausgleich von Risiken in der Versichertenstruktur, die von den Krankenkassen weitgehend nicht beeinflussbar sind, herbeiführen. Damit sollen finanzielle Ungleichgewichte, die durch unterschiedliche Versichertenstrukur bedingt sind, beseitigt werden.
(RH)