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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 10. Mai 2012 – L 4 P 18/11 B ER

Ein Anhörungsschreiben, wonach die Landesverbände der Pflegekassen „Maßnahmen gemäß § 115 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XI in Erwägung ziehen können“ genügt nicht dem Anhörungserfordernis aus § 24 SGB XI. Ein danach erlassener Mängelbescheid ist rechtswidrig. Ist zwischendurch eine Wiederholungsprüfung erfolgt, kann der Anhörungsmangel auch nicht mehr geheilt werden.

Bei einem zeitlichen Abstand von mehr als 7 Monaten zwischen Qualitätsprüfung und Erlass eines Mängelbescheids müssen die Landesverbände der Pflegekassen vor der Verfügung nochmals bei der Pflegeeinrichtung nachfragen, ob sich zwischenzeitlich Änderungen ergeben haben.

Das hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit von uns erstrittenem Beschluss vom  10. Mai 2012 – L 4 P 18/11 B ER entschieden.

Was war passiert?
Am 27. Oktober 2010 führte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) im Auftrag der späteren Antragsgegner, der Pflegekassen in Sachsen-Anhalt eine so genannte Qualitätsprüfung in der Pflegeeinrichtung der Antragstellerin durch. Drei Tage später erstellte der MDK einen Prüfbericht.

Mit Schreiben vom 10. August 2010 forderten die Antragsgegner die Antragstellerin zu einer schriftlichen Stellungnahme auf. Dafür setzten sie eine Frist bis zum 25. August 2010. In den Schreiben fand sich auch folgende Formulierung: „Wir weisen darauf hin, dass die Verbände der Pflegekassen auf Grund dieser Ergebnisse Maßnahmen gemäß § 115 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XI in Erwägung ziehen können“.

Die Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 21. August 2010 umfassend Stellung.

Knapp 7 Monate später, nämlich am 22. Februar 2011, und ohne dass die Antragstellerin noch einmal angehört oder ihre Einrichtung erneut geprüft worden wäre, erließen die Antragsgegner einen so genannten Mängelbescheid nach § 115 Abs. 2 SGB XI. Dieser wiederholte im Kern die Feststellungen aus dem Prüfbericht vom 30. Juli 2010.

Gegen den Maßnahmebescheid erhob die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht. Die Klage hatte gemäß § § 115 Abs. 2 S. 2, 73 Abs. 2  SGB XI keine aufschiebende Wirkung. Die Antragstellerin wäre also trotz Erhebung der Klage zur Befolgung des Bescheides verpflichtet gewesen.

Um dies zu verhindern, hat die Antragstellerin beim Sozialgericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Das Sozialgericht hat den Antrag abgelehnt. Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde zum Landessozialgericht erhoben.
Nachdem die Antragstellerin bei einer Wiederholungsprüfung ein sehr gutes Ergebnis erzielt hatte, haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das Landessozialgericht hatte daher nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Was sagt das Gericht dazu?
Das Gericht hat den Landesverbänden der Pflegekassen die Verfahrenskosten auferlegt.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ihnen ein Verstoß gegen das Anhörungsrecht gemäß § 24 SGB X vorzuwerfen ist. Dieser ist nicht geheilt worden – und führte zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. Februar 2011. Aus Sicht der Antragstellerin stelle sich der Maßnahmebescheid wegen eines nur unzureichenden Anhörungsschreibens und des langen Zeitablaufs zwischen der Prüfung und dem Erlass des Bescheides als völlig überraschend dar.

Der Schutzzweck des § 24 SGB X liege darin, den Bürger vor Überraschungsentscheidungen der Verwaltung zu schützen. Dies setze voraus, dass der Bürger, der sich auf einen belastenden Verwaltungsakt einzustellen hat, im Kern weiß, was die Sozialverwaltung genau beabsichtigt.

Das Schreiben der Antragsgegner vom 10. August 2010 erreiche vor diesem rechtlichen Hintergrund nicht einmal die Qualität eines Anhörungsschreibens für den Bescheid vom 20. Februar 2011. Die dort gebrauchte Formulierung „Maßnahmen gemäß § 115 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XI in Erwägung ziehen“ zu „können“ sei gerade keine Ankündigung, einen belastenden Verwaltungsakt zu erlassen. Wer nur etwas in Erwägung ziehen wolle, zeige nach objektiven Empfängerhorizont um eine bloße Handlungsmöglichkeit auf. Hu einer konkreten Maßnahme, auf die sich der Empfänger einzustellen hätte, habe er sich jedoch noch nicht fest entschlossen. Eine unbedingt notwendige feste Absicht, einen belastenden Verwaltungsakt erlassen zu wollen, lassen sich aus dieser Formulierung nicht ableiten.

Dies gelte auch insbesondere vor dem Hintergrund des ganz erheblichen Zeitablaufs von über sieben Monaten zwischen der Prüfung (27. Juli 2010) und dem Bescheid (20. Februar 2011). Angesichts dieses langen Zeitablaufs hätte es sich den Landesverbänden der Pflegekassen aufdrängen müssen, nochmals bei der Antragstellerin nachzufragen, ob sich zwischenzeitlich weitere Änderungen seit ihrer Stellungnahme ergeben haben.

Ein Ausnahmefall des § 24 Abs. 2 SGB X sei nicht gegeben. Durch das erledigende Ereignis komme schließlich auch eine Heilung des Anhörungsmangels nicht mehr in Betracht.

Was lernen wir daraus?
Pflegedienste sind zumeist gut beraten, so früh wie möglich mit konkreten Stellungnahmen die Feststellungen des MDK nach einer Prüfung anzugehen. Nur so lässt sich erreichen, dass eine bloße Übernahme der Feststellungen des MDK aus dem Prüfbericht in einen etwaigen Mängelbescheid erschwert wird.

Zu bedenken ist zudem, dass das Prüfverfahren den Ausgangspunkt für eine Vielzahl darauf aufbauender Maßnahmen der Kranken- und Pflegekassen ist. Neben dem Erlass eines Mangelbescheides kann mit einer konkreten Stellungnahme auch die Veröffentlichung eines – negativen – Transparenzberichts zwar nicht direkt verhindert, aber dennoch erschwert werden. Fehlt es an einem rechtmäßigen und bestandskräftigen Mängelbescheid, sind die Landesverbände der Pflegekassen zudem gehindert, wirksam eine Wiederholungsprüfung durchzuführen. Die Pflegeeinrichtungen können dann auch nicht zu den damit verbundenen Kosten herangezogen werden.
(LHW)