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BSG, Urt. v. 28. Februar 2007 – B 3 KR 12/06 R

1.) Krankenkassen können nicht verlangen, dass Behandlungsunterlagen ihrer Versicherten durch eigene Mitarbeiter eingesehen und ausgewertet werden. Sie sind insoweit vielmehr auf ein Tätigwerden des MDK angewiesen.
2.) Der Anspruch einer Krankenkasse gegen den Krankenhausträger auf Erstattung zur Unrecht gezahlter Vergütung beginnt mit Zugang der Rechnung. Er unterliegt einer Verjährungsfrist von vier Jahren.
(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Fall:
Mit ihrer am 27. Dezember 2002 beim Sozialgericht erhobenen Stufenklage begehrte die Krankenkasse in erster Stufe die Herausgabe medizinischer Behandlungsunterlagen an den Medizinischen Dienst (MDK). In der zweiten Stufe machte sie die Erstattung gegebenenfalls zuviel gezahlter Rechnungsbeträge entsprechend dem Ergebnis der Prüfung geltend.

Das beklagte Krankenhaus hatte der Krankenkasse für die Durchführung von Stammzellentransplantationen in den Jahren 2000 und 2001 Rechnungen gelegt. Diese hatte die Krankenkasse vollständig beglichen.

Nunmehr vermutete die Krankenkasse, dass es sich um so genannte „Minitransplantationen“ mit geringer dosierter Medikation gehandelt haben könnte. Deren Abrechnung durfte nach ihrer Auffassung nicht anhand von Fallpauschalen, sondern musste nach tagesgleichen Pflegesätzen erfolgen. Die Krankenkasse beauftragte deshalb MDK mit der Überprüfung der Behandlungsfälle.

Das Krankenhaus lehnte die vom MDK mehrmals erbetene Übersendung der Behandlungsunterlagen unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Dezember 2001 – B 3 KR 11/01 R wegen verspäteter Einleitung des Prüfungsverfahrens ab. Der MDK gab daraufhin die Gutachtenaufträge Ende Oktober 2002 unerledigt an die Krankenkasse zurück.

Das Sozialgericht hat das Krankenhaus mit Teilurteil antragsgemäß verurteilt, dem MDK die für eine medizinische Begutachtung erforderlichen Unterlagen über die stationären Aufenthalte der in Rede stehenden Versicherten zur Verfügung zu stellen. Die dagegen vom Krankenhaus eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht zurückgewiesen.

Mit der Revision hat das Krankenhaus weiter Klageabweisung beantragt. Insbesondere hat es sich sowohl gegen den Herausgabeanspruch wie auch den Erstattungsanspruch mit der Einrede der Verjährung verteidigt.

Das Urteil:
Das BSG hat den von der Krankenkasse geltend gemachten Anspruch auf Herausgabe der medizinischen Behandlungsunterlagen an den MDK für begründet erachtet. Die Einrede der Verjährung das BSG nicht durchgreifen lassen.

Der Herausgabeanspruch der Krankenkasse zugunsten des MDK ergebe sich aus § 276 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB V. Veranlasse die Krankenkasse eine Prüfung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, so seien die Leistungserbringer nach § 276 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB V verpflichtet, Sozialdaten auf Anforderung des MDK unmittelbar an diesen zu übermitteln, soweit dies für die gutachtliche Stellungnahme und Prüfung erforderlich ist. Die Krankenkassen könnten daher nicht verlangen, dass die Behandlungsunterlagen der Versicherten durch eigene Mitarbeiter eingesehen und ausgewertet werden. Sie seien insoweit vielmehr auf ein Tätigwerden des MDK angewiesen.

Zwar werde der MDK bei der Erledigung eines Auftrages der Krankenkassen nach § 275 SGB V im eigenen Pflichtenkreis tätig (BSG, Urt. v. 28. September 2006 – B 3 KR 22/05 R und B 3 KR 23/05 R). Dennoch sei bei der Prüfung von Krankenhausrechnungen einzig die Krankenkasse „Herrin“ des Begutachtungsauftrages. In diesem Rahmen entscheide ausschließlich die Krankenkasse, ob und mit welcher konkreten Fragestellung sie den MDK bei der Klärung einer medizinischen Frage einschaltet. Sie könne den Begutachtungsauftrag jederzeit ändern, ergänzen oder beenden, wenn sie dies aufgrund neuer Erkenntnisse für angezeigt hält. Deshalb stehe auch einzig ihr die Entscheidung darüber zu, ob und mit welchen Mitteln vorgegangen werden soll, wenn der MDK mitteilt, ein anderer Beteiligter verweigere die Erteilung erbetener Auskünfte, die erbetene Einsichtnahme in medizinische Unterlagen oder deren – stets nur vorübergehende – Herausgabe bzw. sonstige Formen der Zusammenarbeit.

Hinsichtlich der Einrede der Verjährung hat das BSG maßgeblich darauf abgestellt, dass gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V für die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen die Vorschriften des BGB entsprechend gelten, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach den §§ 69 bis 140h SGB V vereinbar sind.

Nach dem Urteil des Senats vom 12. Mai 2005 – B 3 KR 32/04 R unterliegen die Vergütungsansprüche der Krankenhäuser gegen die Krankenkassen für die Behandlung von Versicherten dabei einer vierjährigen Verjährungsfrist.

Dieser Rechtssatz sei nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen über die Rechtsbeziehungen der Leistungserbringer zu den Krankenkassen grundsätzlich auf alle gegenseitigen Rechte und Pflichten zu übertragen. Der Rückforderungsanspruch einer Krankenkasse gegen einen Krankenhausträger wegen Überzahlung einer Behandlung stelle in seiner Rechtsnatur als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (§ 812 BGB analog) nur die Kehrseite des Leistungsanspruchs dar. Auch für den Erstattungsanspruch gelte daher die vierjährige Verjährungsfrist.

Auch für den in § 276 Abs 2 S. 1 Hs. 2 SGB V normierten Anspruch auf Übermittlung von Sozialdaten an den MDK gelte die allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist von vier Jahren. Ein Hilfsanspruch könne nicht eher verjähren als der zu sichernde Hauptanspruch.

Der Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den MDK sei mit Zugang der Rechnungen entstanden. Gleiches gelte für einen möglichen Erstattungsanspruch.

Dementsprechend beginne die Verjährungsfrist am jeweiligen Jahresende (§ 199 BGB analog) und endet vier Jahre später am 31. Dezember. Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Verjährung gelten, so das BSG, in entsprechender Anwendung der §§ 45 Abs. 2 SGB I und 113 Abs. 2 SGB X im vorliegenden Bereich sinngemäß.

Auswirkungen für die Praxis:
Das BSG hat zunächst klargestellt, dass den Krankenkassen kein Recht auf Einsichtnahme in medizinische Unterlagen besteht. Nach unseren Erfahrungen ergehen zwar noch immer solche Aufforderungen. Doch hat das BSG dem den Boden entzogen.

Dies wird im Übrigen für alle Leistungserbringer im SGB V zu gelten haben. Die Vorschriften über Abrechnungsprüfungen nach § 275 SGB V erfassen nämlich alle Leistungserbringer.

Fordert die Krankenkasse medizinische Unterlagen an, kommt also einzig eine Übersendung an den MDK in Betracht. Dies geschieht am zweckmäßigsten so, dass entweder die Unterlagen dem MDK direkt ausgehändigt werden oder sie in einem verschlossenen Umschlag an die Krankenkasse zur Weiterleitung an den MDK geschickt werden.

Erfolgt hingegen eine Übersendung an die Krankenkasse, so verstößt der übersendende Leistungserbringer gegen die Vorschriften zum Schutz von Sozialdaten. Er setzt sich damit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit aus.

Hinsichtlich der Verjährung von Erstattungsansprüchen ist zu bedenken, dass eine Verrechnung von etwaigen Erstattungsansprüchen mit aktuellen Vergütungsansprüchen nur in Betracht kommt, soweit der Erstattungsanspruch bei der Verrechnung noch nicht verjährt war. Eine Aufrechnung gemäß § 387 BGB, und um nichts anderes handelt es sich bei einer Verrechnung, kommt nämlich gemäß § 215 BGB nur in Frage, wenn der Anspruch, mit dem aufgerechnet wird, noch nicht verjährt war, als erstmals aufgerechnet werden konnte. Die Forderungen müssen sich also zu unverjährter Zeit in aufrechenbarer Weise gegenüber gestanden haben.

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(LH)[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]