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Für die Leistungserbringer im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung stellt sich immer wieder die Frage, wie am besten auf Beanstandungen der Kostenträger reagiert werden kann. Meist sieht sich ein Leistungserbringer, zum Beispiel ein Krankenhaus oder ein häuslicher Pflegedienst, zugleich an „vielen Fronten“ den Angriffen der Krankenkassen ausgesetzt.

Prominente Beispiele sind in letzter Zeit insbesondere Rechnungseinbehalte bei Krankenhausrechnungen im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung (§ 140d Abs. 1 S. 1 SGB V) oder pauschale Rechnungskürzungen bei der Ein- und Durchführung des Datenträgeraustausches im Bereich der häuslichen Krankenpflege (§ 303 Abs. 3 S. 2 SGB V).

Für die Leistungserbringer, die bereits durch den Rechnungseinbehalt wirtschaftliche Einbußen erleiden, stellt sich dabei die Frage, wie Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen so geführt werden können, dass ihnen möglichst geringe, mit der ggf. notwendig werdenden gerichtlichen Geltendmachung verbundene, weitere finanzielle Belastungen entstehen.

Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst zwei Konstellationen zu unterscheiden.

Zum einen gibt es die Konstellation, dass ein einzelner Leistungserbringer beispielsweise gegen einen Kostenträger (nachfolgend: Konstellation 1) eine Forderung hat, die sich als Gesamtsumme aus verschiedenen, ganz oder teilweise unbezahlten Rechnungen ergibt.

Zum anderen gibt es die Konstellation, dass mehrere Leistungserbringer, und zwar jeder für sich, gegen denselben Kostenträger (nachfolgend: Konstellation 2) aus demselben Rechtsgrund eine Forderung haben. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine bestimmte von diesen Leistungserbringern jeweils erbrachte Leistung vom Kostenträger nicht bezahlt wird, obwohl die Vergütung in einem mit dem bestimmten Kostenträger abgeschlossenen Rahmenvertrag, dem die Leistungserbringer beigetreten sind, geregelt ist.

Die offenen Rechnungsbeträge können sich z.B. ergeben,
· weil gegenüber mehreren Krankenhäusern der in § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V vorgesehene Einbehalt für die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung vorgenommen wird, obwohl die zugrunde liegenden Verträge zur integrierten Versorgung rechtswidrig sind und damit auch der Rechnungseinbehalt für die Anschubfinanzierung oder
· wenn mehrere Pflegedienste sich Rechnungskürzungen unter Berufung auf fehlerhafte Datenanlieferungen in stets prozentual gleicher Höhe ausgesetzt sehen.

In beiden Konstellationen bietet sich zur Verfahrenskonzentration im vorgerichtlichen Bereich dabei zunächst die Möglichkeit, eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse mit dem Inhalt  zu schließen, dass die Entscheidung in einem bestimmten Fall zugleich auch für andere Fälle unmittelbar bindend sein soll. Es handelt sich dabei um eine – bei ohne Weiteres auch denkbarer Beteiligung von mehr als zwei Parteien mehrseitige – Vereinbarung, mit der die rechtlichen Wirkungen aus einer Auseinandersetzung kraft autonomen vertraglichen Akts der Beteiligten auch auf andere Fälle übertragen werden. Es wird auf vertraglichem Wege die Bindungswirkung einer Entscheidung festgeschrieben. Die Bindungswirkung erstreckt sich dabei auf die am Vertrag Beteiligten und von diesen in den Vertrag einbezogenen Fälle. Nicht am Vertrag beteiligte Dritte werden nicht erfasst. Gleiches gilt für nicht ausdrücklich in den Vertrag einbezogene Fälle.

Denkbar wären solche Vereinbarungen z.B. für ein Krankenhaus, dass über mehrere Abrechnungsperioden Rechnungsabschlägen durch die Krankenkasse nach § 140d Abs. 1 S. 1 SGB V unter Berufung auf Integrationsverträge ausgesetzt war (Konstellation 1). Möglich wäre eine solche Vereinbarung aber auch, wenn mehrere Krankenhäuser in derselben Abrechnungsperiode Rechnungskürzungen wegen der Anschubfinanzierung hinnehmen mussten (Konstellation 2). Hier könnte jeweils eine Vereinbarung, dass die in einem Abrechnungszeitraum zu klärende Frage der Rechtmäßigkeit des Integrationsvertrages und damit der Berechtigung zum Rechnungseinbehalt auch für andere Quartale zwischen den Vertragsparteien bindend sein soll, getroffen werden.

Ähnliches ließe sich für Pflegedienste denken, wenn die Frage nach der Rechtmäßigkeit von stets pauschal gleich hohen prozentualen Rechnungskürzungen bei fehlerhafter Datenanlieferung steht.

Für den gerichtlichen Bereich hat der Gesetzgeber sogar eine der Verfahrenskonzentration dienende Rechtsvorschrift geschaffen. Nach Abs. 1 S. 1 des mit Wirkung vom 01. April 2008 neu eingeführten § 114a SGG kann, wenn die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als 20 Verfahren an einem Gericht ist, das Gericht eines oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen (Musterverfahren) und die übrigen Verfahren aussetzen.

Voraussetzung ist also zunächst, dass durch die Leistungserbringer mindestens 20 Verfahren anhängig gemacht werden. Seitens der klagenden Krankenhäuser bzw. Pflegedienste müssten zunächst also mindestens 20 Klagen erhoben werden

Zudem müssten alle 20 Verfahren dieselbe behördliche Maßnahme betreffen.

Davon dürfte insbesondere dann auszugehen sein, wenn gleichzeitig mehrere Krankenhäuser die Kürzung von Rechnungen durch dieselbe Krankenkasse unter Berufung auf die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung im selben Zeitraum beanstanden (Konstellation 2).  Dies dürfte sich daraus ergeben, dass dann in allen Fällen die Rechtmäßigkeit der Integrationsverträge in dem fraglichen Zeitraum streitentscheidend ist

Gleiches dürfte gelten, wenn sich mehrere Pflegedienste für ein und denselben Zeitraum gegen pauschale Rechnungskürzungen in prozentual immer gleicher Höhe durch dieselbe Krankenkasse unter Berufung auf fehlerhafte Datenlieferung wenden (Konstellation 2). Auch hier dürfte jeweils streitentscheidend sein, ob im Falle fehlerhafter Datenanlieferung ein prozentual gleicher Rechnungsabschlag zulässig ist oder nur betragsmäßig gleiche Kürzungen.

Um nicht von § 114a SGG erfasste so genannte unechte Massenverfahren dürfte es sich hingegen handeln, wenn es sich nur um in wesentlichen gleichartige behördliche Maßnahmen handelt. Davon dürfte zum Beispiel auszugehen sein, wenn die Rechnungskürzungen mehrerer klagender Krankenhäuser jeweils verschiedene, sich nicht überschneidende Abrechnungszeiträume oder medizinisch unterschiedliche Behandlungsfälle umfassen bzw. Pflegedienste Rechnungskürzungen in verschiedenen Monaten vor Gericht beanstanden.

Sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, so kann das Gericht die Durchführung eines oder mehrerer Musterverfahren anordnen. Die Anordnung steht dabei im Ermessen des Gerichts.

Vorher sind die Beteiligten zu hören (§ 114 Abs. 1 S. 2 SGG).

Im so genannten Nachverfahren, d.h. nach dem rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens, kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 S. 1 SGG durch Beschluss entscheiden. Da eine Bindungswirkung an das Musterverfahren vom Gesetz nicht angeordnet ist, ist das Gericht dabei rechtlich nicht an die Ergebnisse des Musterverfahrens gebunden.

Gegen die Entscheidung nach § 114a Abs. 2 S. 1 SGG steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, dass zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte (§ 114a Abs. 2 S. 5 SGG) – also gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Berufung (§ 143 SGG) oder Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG); gegen Entscheidungen des Landessozialgerichts Revision (§ 160 Abs. 1 SGG) oder Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a SGG).

Kommt der Abschluss einer Vereinbarung im eingangs genannten Sinne nicht in Betracht und besteht auch nicht die Möglichkeit zur Durchführung von Musterverfahren, so verbleibt dem einzelnen Leistungserbringer gleichwohl noch eine Möglichkeit zur Verfahrenskonzentration. Diese kann nämlich auch dadurch erreicht werden, dass einzelner Leistungserbringer mehrere Ansprüche gegen einen Kostenträger in einer einheitlichen Klage geltend macht (Konstellation 1). Man spricht in diesem Fall von einer objektiven Klagehäufung.

So könnten Rechnungseinbehalte bzw. -kürzungen in mehreren Abrechnungszeiträumen zwar grundsätzlich jeweils einzeln im Klageweg geltend machen. Zweckmäßiger dürfte es jedoch sein, mehrere, ggf. im Zusammenhang stehende, Ansprüche in einer einzelnen Klage geltend zu machen. Dafür spricht insbesondere, dass die dann aufzubringenden Gerichts- und ggf. Anwaltskosten nicht linear steigen, sondern die Gebührensätze degressiv ausgestaltet sind. Mit steigendem Streitwert steigen die Gerichtsgebühren im Vergleich zum Streitwert weniger stark an. Es ergeben sich daher bei der gemeinsamen Geltendmachung geringere Kosten als wenn jeweils einzeln Klage erhoben werden würde.
(RH/LH)