Am 17.01.2017, Az.: 26 U 30/16, hat das OLG Hamm ein Krankenhaus in einem Fall, in dem eine demente Patientin durch das Fenster aus dem Krankenzimmer flüchten wollte und dabei in die Tiefe gestürzt war, zum Schadensersatz verurteilt.
Was ist passiert?
Klägerin war die Krankenversicherung, die von der beklagten Trägerin eines Krankenhauses die Erstattung von Kosten verlangt, die die Klägerin für eine im August 1929 geborene und im März 2011 verstorbene Patientin aufgewandt hat. Im Januar 2011 wurde die demente Patientin aufgrund eines Schwächeanfalls stationär in das Krankenhaus der Beklagten eingewiesen. Sie gab sich am Aufnahmetag unruhig, aggressiv, verwirrt und desorientiert. Weiterhin zeigte Sie Weglauftendenzen und wollte die Station verlassen. Mit den verabreichten Neuroleptika konnte die Patientin nicht ruhig gestellt werden. Krankenschwestern verstellten deswegen der Beklagten u.a. die Tür des Krankenzimmers der Patientin von außen mit einem Krankenbett, um sie am Weglaufen zu hindern. Am späten Abend des dritten Behandlungstages kletterte die Patientin unbemerkt aus dem Zimmerfenster und stürzte auf ein ca. fünf Meter tiefer liegendes Vordach. Sie erlitt erhebliche Verletzungen, u.a. Rippenfrakturen, zudem eine Lendenwirbel-, eine Oberschenkel- und eine Beckenringfraktur. In einer anderen Klinik wurden die Verletzungen operativ versorgt. Von dort aus kam die Patientin in ein Pflegeheim, in dem sie später verstarb. Die Klägerin wandte für die unfallbedingte Heilbehandlung ein Krankenhaustagegeld ca. 93.300 Euro auf, die sie von der Beklagten unter Hinweis auf – nach Ansicht der Klägerin – unzureichende Sicherungsmaßnahmen ersetzt verlangt.
Das LG Arnsberg hatte die Klage abgewiesen.
Was sagt das OLG Hamm dazu?
Das erstinstanzliche Urteil wurde vom OLG Hamm abgeändert. Das OLG hat der Klägerin den geltend gemachten Schadensersatz aufgrund übergegangener Schadensersatzansprüche der Patientin zugesprochen.
Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, dass die Beklagte gegen ihre vertraglichen Fürsorgepflichten und gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen habe. Im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren habe sie die Patientin, soweit der körperliche und geistige Zustand der Patientin dies erfordert habe, vor Schäden und Gefahren schützen müssen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht gerecht geworden. Ausweislich der Dokumentation der Beklagten sei das Verhalten der Patientin auch am Unfalltage unberechenbar gewesen. Danach habe sie auch an dem Tage aus dem Zimmer flüchten wollen. Ebenfalls habe der vom OLG Hamm angehörte medizinische Sachverständige bestätigt, dass Patienten mit einem derartigen Krankheitsbild praktisch alles machen würden und in ihrem Verhalten unberechenbar seien. Das Personal der Beklagten habe bei dieser Ausgangslage auch einen Fluchtversuch durch das Fenster des Krankenzimmers in Betracht ziehen müssen. Für die Patientin sei dieses Fenster über einen davor stehenden Tisch und einen Stuhl zu erreichen und über einen nicht verschließbaren Fenstergriff zu öffnen gewesen. Das Öffnen dieses Fensters habe die Beklagte durch die Patientin verhindern oder diese in ein ebenerdig gelegenes Krankenzimmer verlegen müssen.
Der Beklagten seien die notwendigen Vorkehrungen gegen ein Hinaussteigen der Patientin aus dem Fenster des Krankenzimmers möglich und zumutbar gewesen. Das pflichtwidrige Unterlassen dieser Maßnahme begründe ihre Haftung.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 19.04.2017 und Juris das Rechtsportal
RH