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SG Frankfurt (Oder), Urt . v. 29. März 2011 – S 27 KR 74/09

Die Verjährung wird durch ein einseitig angeordnetes Begutachtungsverfahren gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht gehemmt. Eine Hemmung der Verjährung tritt gemäß § 45 Abs. 2 SGB I in Verbindung mit § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB nur ein, wenn es sich um ein vereinbartes Begutachtungsverfahren handelt.
(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Fall:
Die Parteien streiten über die Rückerstattung von Krankenbehandlungskosten aus dem Jahr 2004.

Die beklagte Krankenkasse hatte gegen laufende und streitige Krankenhausrechnungen aus dem Jahr 2009 im Jahr 2009 aufgerechnet. Für die Durchführung stationärer Krankenhausbehandlung in der gemäß § 108 SGB V zugelassenen Klinik der Klägerin hatte die Klinik der Beklagten über die Behandlung von 15 Versicherten Rechnung gelegt. Die Rechnungen wurden im Kalenderjahr 2004 von der Beklagten ohne Beanstandung bezahlt. Der Medizinische Dienst des Bundeseisenbahnvermögens der Klägerin teilte mit Schreiben vom 01.10.2008 zu der oben genannten Behandlung im Jahr 2004 mit, dass ihn die Beklagte mit einer gutachterlichen Stellungnahme zur Kodierung der Haupt- und Nebendiagnosen, d.h. Abrechnung des entsprechenden Behandlungsfalls beauftragt habe. Er bat daher um kurzfristige Überlassung des Krankenhausentlassungsberichtes, der Pflegedokumentation und der Patientenkurve. Die Klägerin kam dieser Bitte nach. Bis zum 20.10.2008 waren sämtliche angeforderten Unterlagen beim Medizinischen Dienst eingegangen. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom Januar 2009 kam der Medizinische Dienst zu einer aus seiner Sicht jeweils gegenüber der Abrechnung der Klägerin abweichenden Kodierung von Haupt- bzw. Nebendiagnosen entsprechend der Vorgaben der deutschen Kodierrichtlinien mit der Folge an sich geringerer auszuweisender Rechnungsbeträge.

In der Folge teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis des MDK mit und bat um Korrektur des Rechnungsergebnisses innerhalb von 14 Tagen.

Da die Klägerin darauf nicht reagierte, rechnete die Beklagte mit einem Gesamtumfang von 15.600,02 € gegen noch offene laufende, der Höhe nach unstreitige Krankenhausrechnungen aus der Zeit vom 11.02.2009 bis 25.03.2009 auf. Da die Beklagte wiederum auf ein Schreiben der Klägerseite, den zu Unrecht einbehaltenen Betrag in Höhe von 15.600,02 € zur Auszahlung zu bringen, nicht nachkam, wurde seitens der Klägerin am 15.06.2009 Klage eingereicht. Dort verfolgte sie ihr Zahlungsbegehren weiter. Zur Begründung erhebt die Klägerin ausdrücklich den Einwand der Verjährung. Sämtliche Forderungen der Beklagten aus den hier streitigen Abrechnungen seien mit Ablauf des 31.12.2008 verjährt gewesen. Verjährungsunterbrechende oder verjährungshemmende Maßnahmen seien nicht erfolgt.

Die Entscheidung:
Nach Ansicht des entscheidenden Gerichts ist gemäß § 54 Abs. 5 SGG erhobene Leistungsklage zulässig und begründet. Insbesondere könne die Beklagte, gegen die als solche unstreitige Klageforderung nicht erfolgreich einwenden, sie habe gegen diese rechtswirksam mit einer gleichartigen und erfüllbaren Gegenforderung aufgerechnet. Denn mit einer Forderung, der eine Einrede, wie hier der Verjährung, entgegensteht, könne gemäß § 390 BGB nicht aufgerechnet werden. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 215 BGB seien zudem nicht erfüllt.

Das Gericht ließ offen, ob ein Erstattungsanspruch seitens der Beklagten wegen unzutreffender Kodierung von Haupt- und Nebendiagnosen mit der Folge einer fehlerhaften Fallpauschale nach dem Fallpauschalensystem (DRG-Code) der Beklagten entstanden ist. Denn die durch die Beklagte erklärte Aufrechnung mit dem behaupteten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gehe aufgrund der spätestens zum 31.12.2008 eingetretenen Verjährung ins Leere.

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch unterliege in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 SGB I einer vierjährigen Verjährungsfrist. Der Lauf der Verjährungsfrist beginne gemäß § 45 Abs. 1 SGB I mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch, hier also der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, entstanden ist. Da hinsichtlich der hier streitigen Behandlungsfälle bereits im Kalenderjahr 2004 die entsprechenden Rechnungen übermittelt und von der Beklagten auch beglichen wurden, wäre ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch bereits im Kalenderjahr 2004 mit der jeweiligen Zahlung der Beklagten entstanden. Die vierjährige Verjährungsfrist fängt somit zum 01.01.2005 an und zum 31.12.2008 abgelaufen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Lauf der Verjährungsfrist auch nicht gehemmt worden gemäß § 45 Abs. 2 SGB I i. V. m. § 209 BGB.

Zwar würden gem. § 45 Abs. 2 SGB I i. V. m. § 203 BGB Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände zur Hemmung der Verjährung führen, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Voraussetzung für eine Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB sei jedoch mindestens, dass der Gläubiger dem Schuldner überhaupt zu erkennen gegeben habe, er mache einen Anspruch geltend. Davon ausgehend seien die Voraussetzungen des § 203 BGB nicht erfüllt. Zwar habe der Medizinische Dienst die oben genannten Unterlagen angefordert und auf die Prüfung hingewiesen. Das Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst sollte jedoch die Beklagte erst in die Lage versetzen zu entscheiden, ob ein Erstattungsanspruch besteht und dieser auch durchgesetzt werden soll. Verhandlungen könnten über einen Anspruch oder die den Anspruch begründete Umstände können jedoch erst stattfinden, wenn der Gläubiger überhaupt davon ausgeht, dass ihm ein Anspruch zukommt oder Umstände vorliegen, die einen Anspruch begründen. Erstmals geltend gemacht wurden die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen im Januar und Februar 2009 und somit erst nach Eintritt der Verjährung.

Auch gemäß § 45 Abs. 2 i. V. m. § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB sei die Verjährung nicht gehemmt wurden. Danach trete zwar ab Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens Verjährungshemmung ein. Es handelt sich vorliegend gemäß § 275 Abs. 2 Nr. SGB V jedoch gerade nicht um ein vereinbartes Begutachtungsverfahren, sondern um ein gesetzlich vorgegebenes und damit einseitig initiiertes Begutachtungsverfahren. Diese würden jedoch gerade keine verjährungshemmende Wirkung entfalten. Begutachtungsverfahren könnten zwar mit Landesverträgen gem. § 112 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 SGB V vereinbart werden. Dies sei jedoch vorliegend nicht geschehen, da in Brandenburg kein solcher Vertrag geschlossen worden sei.

Die Beklagten seien auch keinesfalls rechtlos gestellt. Die vierjährige Verjährungsfrist sollte regelmäßig genügen, um vor Ablauf der Verjährungsfrist Erstattungsansprüche im Wege der Aufrechnung durchzusetzen. Wenn die Beklagte trotz des Verjährungsrisikos erst unmittelbar vor Eintritt der Verjährung den Medizinischen Dienst mit der Begutachtung beauftrage, erscheine es dem gegenüber geradezu treuwidrig, sich auf die fehlende Weisungsbefugnis im Verhältnis zum Medizinischen Dienst zu berufen. Darüber hinaus stehe es der Beklagten frei, bereits vor Abschluss des Begutachtungsverfahrens verjährungshemmende Maßnahmen im Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu ergreifen, die gesamte Rechnungssumme zurückzufordern oder die Aufrechnung zu erklären. Daneben könne man auch einen freiwilligen Verzicht auf die Einrede der Verjährung durch das Krankenhaus auf Anfrage zu erreichen versuchen.

Konsequenzen für die Praxis:
Der Entscheidung des SG Frankfurt (Oder) ist zuzustimmen.

Durch das Prüfungsverfahren gem. § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V soll die Krankenkasse erst in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob ein Erstattungsanspruch besteht. Naturgemäß kann vorher auch keine Verhandlung durchgeführt werden. Auch die Regelung des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB ist eindeutig. Eine entsprechende Anwendung auf den Fall des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist nicht geboten. Die beklagte Krankenkasse kann vielmehr versuchen eine Vereinbarung über einen Landesvertrag gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 SGB V herbeizuführen.

Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Krankenkasse rechtlos gestellt ist. Die vierjährige Verjährungsfrist bietet ihr ausreichend Gelegenheit, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen.
(RH)