OLG Naumburg, Urt. v. 27. September 2012 – 9 U 73/11
Eine englische Unternehmensgruppe bietet in Deutschland ohne behördliche Genehmigung Sportwetten über das Internet an. Der staatliche Monopolanbieter, Lotto Toto Sachsen-Anhalt, wollte dies unterbinden und für die seit dem Jahr 2008 entstandenen Nachteile Schadenersatz. Der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Naumburg wies die Klage nunmehr in der Berufungsinstanz ab.
Wer Glücksspiel veranstalten oder vermitteln will, braucht hierfür eine Erlaubnis. Nach dem Glücksspielstaatsvertrag, der vom 01.01.2008 bis 30.06.2012 galt, konnte eine solche Genehmigung im Bereich von Lotterien und Sportwetten aber nur Mitgliedern des staatlichen Deutschen Lotto und Toto-Bundes (DLTB) erteilt werden. Infolge des Monopols durften private Anbieter ihre Leistungen in diesem Segment des Glücksspielmarktes nicht vertreiben.
Das damit verbundene Tätigkeitsverbot ist nach der Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG Naumburg vom 27. September 2012 jedenfalls in Fällen mit einem Bezug zum EU-Ausland mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und daher unverbindlich. Denn der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht vor, dass „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedsstaaten, die in einem anderen Mitgliedsstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, […] verboten sind“.
Diese Garantie darf zwar aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls eingeschränkt werden – dazu gehört auch der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren des Glücksspiels. Solche Restriktionen müssen aber „kohärent“, also in sich stimmig und konsequent sein. Damit wird verhindert, dass die Mitgliedstaaten sich zu ihrer Verpflichtung auf einen Binnenmarkt durch nationale Regelungen oder durch deren unzureichenden Vollzug in Widerspruch setzen.
Das staatliche Monopol auf Sportwetten und Lotterien soll der Bekämpfung der Spielsucht, der Begrenzung des Angebots, der Kanalisation der Spiel- und Wettnachfrage auf legale Angebote, dem Jugend- und dem Spielerschutz sowie der Vermeidung der Begleit- und Folgekriminalität dienen. Aus dieser Aufgabenstellung ergeben sich zwei Konsequenzen für die Glücksspielpolitik, die nach Auffassung des Senats jedoch nicht ausreichend beachtet worden sind: Die Werbung des DLTB darf über eine bloße Information über die Spielteilnahme nicht hinaus gehen. Wetten darf nicht als sozialverträgliche Unterhaltung mit positivem Image dargestellt werden. Wegen der verwendeten Slogans, der Hinweise auf die gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen und der Steigerung der Werbeausgaben anlässlich bedeutender sportlicher Ereignisse geht der Senat hier indes von einer umsatzsteigernden und damit unzulässigen Werbepolitik des DLTB aus.
Maßgebliche Bedeutung komme ferner dem Umstand zu, dass die Bundesrepublik neben dem Monopol auf Lotterien und Sport ein breites (legales) Angebot zulasse. Inzwischen entfalle nur noch ca. ein Drittel des Umsatzes des gesamten Glücksspielmarktes auf Lotto 6 aus 49 und Oddset, während je ein weiteres Drittel in Spielbanken und mit Geldautomaten erzielt würde, die mit Abstand das höchste Suchtpotential hätten. Weil insbesondere suchtgefährdete Spieler auf dieses Alternativangebot auswichen, könne das Monopol die mit ihm beabsichtigten Wirkungen allenfalls noch in einem kleinen Teilbereich erzielen und werde seiner Funktion nicht mehr gerecht. Daher dürfe die Dienstleistungsfreiheit der britischen Anbieter nicht beschränkt werden.
Am 01.07.2012 ist der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag in Kraft getreten, der die Monopolregelung suspendiert und an ihrer Stelle ein Konzessionsmodell vorsieht. Danach sollen 20 privaten Anbietern auf 7 Jahre Erlaubnisse erteilt werden. Die europaweite Ausschreibung dieser Konzessionen lief am 12.09.2012 ab. Bis das neue Regelungsmodell durch Vergabe der Konzessionen implementiert ist, darf die englische Unternehmensgruppe nun weiterhin Sportwetten anbieten.
Mit der Entscheidung des 9. Zivilsenates des Oberlandesgerichtes Naumburg wurde das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 11. März 2011 – 36 O 235/07 abgeändert, mit dem die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung und zum Schadensersatz verurteilt worden war. Lotto Sachsen-Anhalt hat nun die Möglichkeit, den Bundesgerichtshof anzurufen. Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
(Quelle: Pressemitteilung des OLG Naumburg Nr. 015/2012 vom 08. Oktober 2012)