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BGH, Urt. v. 27. Januar 2011 – VII ZR 133/10

1.)    Ein so genannter „Internet-System-Vertrag“ ist rechtlich als Werkvertrag einzuordnen (Bestätigung des Urt. v. 04. März 2010 – III ZR 79/09 – „Euroweb I“).
2.)    Der Besteller darf einen Werkvertrag, mit dem sich der Unternehmer für eine Mindestlaufzeit von 36 Monaten zur Bereitstellung, Gestaltung und Betreuung einer Internetpräsenz verpflichtet hat, jederzeit gemäß § 649 S. 1 BGB kündigen. Das Kündigungsrecht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Vertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht vorsieht.
3.)    Die Bemessung der nach § 649 S. 2 BGB zu zahlenden Vergütung orientiert sich nicht an den vereinbarten Zahlungsmodalitäten, wie etwa Ratenzahlungen. Maßgebend ist der Betrag, der dem auf die erbrachten Leistungen entfallenden Teil der vereinbarten Vergütung entspricht.

(Leitsätze 2 und 3 sind die amtlichen Leitsätze, Leitsatz 1 vom Verfasser)

Der Fall:
Die Klägerin befasste sich gewerblich mit der Erstellung von Internetseiten. Sie schloss am 28. März 2008 mit dem Beklagten als Inhaber eines Unternehmens einen so genannten „Internet-System-Vertrag Premium-Plus“. Für die danach geschuldeten Leistungen hatte der Beklagte zum einen eine so genannte Anschlussgebühr von knapp € 240 zu zahlen. Darüber hinaus war ein monatliches Entgelt von knapp € 200 zu entrichten – und zwar jährlich im Voraus. Als Vertragslaufzeit waren 36 Monate vereinbart. Hierzu enthielt § 2 der in der Vertrag einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin folgende ergänzende Regelung:

„(1) Während der umseitigen Laufzeit ist der Vertrag aus wichtigem Grund bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kündbar. …“

Mit Schreiben vom 30. Juni 2009 kündigte der Beklagte den Vertrag.

Die Klägerin hat mit der Klage einen Betrag in Höhe von ungefähr € 2.600 für die Anschlussgebühr und das monatliche Entgelt für die ersten beiden Vertragsjahre nebst Zinsen beansprucht. Darüber hinaus hat sie die Erstattung vorprozessual angefallener Rechtsanwaltskosten von knapp € 260 verlangt. Der Beklagte hat die Klägerin mit seiner Widerklage auf Erstattung vorprozessual entstandener Anwaltskosten in Höhe von etwas mehr als € 550 in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Zahlung von knapp € 1.400 verurteilt. Den darüber hinausgehenden Teil der Klage hat das Landgericht abgewiesen; ebenso die Widerklage.

Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin ihr Klageanliegen in dem Umfang weiterverfolgt, in dem das Landgericht zu ihrem Nachteil entschieden hat.

Die Entscheidung:
Die Revision hat zur Aufhebung des Berufungsurteils geführt, soweit darin zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und zur Zurückweisung an das Berufungsgericht.

Bestätigt hat der BGH dabei die Ansicht des Landgerichts, dass der Beklagte den Vertrags wirksam gemäß § 649 S. 2 BGB gekündigt hat.

Wie bereits mit dem ebenfalls die Klägerin betreffenden Urteil vom 04. März 2010 – III ZR 79/09 entschieden, ist der von den Parteien geschlossene „Internet-System-Vertrag“ als Werkvertrag anzusehen.

Diesen Vertrag habe der Beklagte mit Schreiben vom 30. Juni 2009 wirksam gemäß § 649 S. 1 BGB gekündigt. Ein Ausschluss des freien Kündigungsrechts ergebe sich weder aus der Natur des Vertrages noch aus den von den Parteien im Einzelnen getroffenen vertraglichen Abreden.

Durch § 649 S. 1 BGB wird dem Besteller gestattet, den Werkvertrag jederzeit zu kündigen. Dem in erster Linie auf die Vergütung gerichteten Interesse des Unternehmers trage § 649 S. 2 BGB dadurch Rechnung, dass ihm der Anspruch auf die Gegenleistung im Ausgangspunkt auch für diejenigen Leistungen verbleibt, die er wegen der Kündigung nicht mehr erbringen muss (BGH, Urt. v. 08. Juli 1999 – VII ZR 237/98). Der Besteller sei daher zur Kündigung eines Vertrages unabhängig davon berechtigt, welcher Art die Leistungen sind und innerhalb welchen Zeitraums der Unternehmer diese Leistungen zu erbringen habe.

Eine Besonderheit könne sich unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und einer ergänzenden Auslegung des Vertrages jedoch bei auf unbestimmte Zeit geschlossenen Werkverträgen, die die fortgesetzte Erbringung von Werkleistungen zum Gegenstand haben, ergeben. Eine solche Besonderheit ergebe sich allerdings nicht allein daraus, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen sei. Vielmehr könnten sie mit Rücksicht auf den Regelungsgehalt des § 649 BGB und den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck nur dann vorliegen, wenn der Unternehmer über die Realisierung seines Vergütungsanspruches hinaus ein berechtigtes Interesse an der Ausführung der Vertragsleistungen hat, welches durch eine jederzeitige freie Kündigung in einer Weise beeinträchtigt werden würde, die hinzunehmen ihm nicht zugemutet werden kann (BGH, Urt. v. 21. November 1985 – VII ZR 366/83).

Aus diesen Grundsätzen könne die Klägerin jedoch nichts zu ihren Gunsten herleiten.

Durch die vereinbarte Laufzeit von 36 Monaten solle sichergestellt werden, dass sich die insbesondere zu Beginn des Vertrages für die Verwirklichung des Werkerfolges.  Darauf habe die Klägerin aus selbst hingewiesen. Dieses Vergütungsinteresse werde durch die freie Kündigung vor Ablauf der Vertragslaufzeit aber nicht beeinträchtigt. Auch dann erhalte die Klägerin gemäß § 649 S. 2 die für die Mindestvertragsdauer vereinbarte Vergütung. Sie müssen sich, abgesehen von anderweitigem Erwerb, nur diejenigen Aufwendungen abziehen lassen, die sie infolge der Kündigung erspare. Sie werde damit im Ergebnis nicht anders behandelt als derjenige Werkunternehmer, der z.B. Bauleistungen von erheblichem Umfang erbringen müsse und sich dadurch für den Zeitraum der Bauausführung vertraglich gebunden habe.

Das Kündigungsrecht nach § 649 S. 1 BGB hätten die Parteien nicht vertraglich abbedungen. Dahingehende Abreden enthalte der Vertrag nicht. Die Vertragsgestaltung sei darauf gerichtet, eine für möglich gehaltene, fristgebundene ordentliche Kündigung zu verhindern, um das Vergütungsinteresse der Klägerin zu sichern. Dieses Interesse bestehe darin, ihr den Vergütungsanspruch zu erhalten, damit sich ihre Aufwendungen für die Durchführung des Vertrages amortisieren. Eine Kündigung gemäß § 649 S. 1 BGB lasse dieses Interesse indes unberührt. Der Klägerin stehe als Unternehmerin gemäß § 649 S. 2 BGB die Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs zu. Die Klägerin werde daher so gestellt, als wäre der Vertrag erfüllt. Es sei daher, so das Gericht weiter, kein Grund erkennbar, warum die Klägerin mit der von ihr gewählten Vertragsgestaltung das freie Kündigungsrecht des Beklagten als Besteller habe ausschließen wollen.

Die der Klägerin danach zustehende Vergütung ergebe sich in Ermangelung feststellbaren anderweitigen Erwerbs aus der Differenz zwischen der vereinbarten Vergütung und den kündigungsbedingt für nicht erbrachte Leistungen ersparten Aufwendungen. Hierzu müsse der Unternehmer schlüssig vortragen, wenn sich dieser Anteil nicht ohne weiteres aus dem Vertrag ergebe. Eine im Vertrag getroffene Regelung über Ratenzahlungen müsse insoweit für die Bemessung der erbrachten Teilleistungen nicht maßgeblich sein.

Das Berufungsgericht habe daher die für die erbrachten Leistungen zu zahlende Vergütung nicht mit der Erwägung, die Klägerin habe zu den ersparten Aufwendungen nicht schlüssig vorgetragen, anhand der vereinbarten Raten bemessen. Das Berufungsgericht werde daher nach Zurückverweisung der Sache für die neue Berechnung des Vergütungsanspruchs die auf die erbrachten Leistungen entfallenden Anteile der vereinbarten Vergütung zu ermitteln haben. Dazu sei der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihren Tatsachenvortrag in diesem Punkt zu ergänzen. Die Klägerin werde dabei zu schlüssigen Darlegung eines den bereits zuerkannten Betrag übersteigenden Anspruchs konkret unter Offenlegung ihrer Vertragskalkulation vortragen müssen, welcher Anteil der für die Mindestvertragslaufzeit insgesamt vereinbarten Vergütung auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen entfällt. Dazu reiche Darstellung der Vergütungsstruktur ihrer Verträge mit so genannten Kauf-Kunden, denen nach dem Vorbringen der Klägerin ein anderes Preis- und Leistungsgefüge zu Grunde liegt, als es für den in Rede stehenden, im Direktvertrieb angebotenen „Internet-System-Vertrag“ maßgeblich ist, nicht aus.

Konsequenzen für die Praxis:
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verdient Zustimmung.

Unternehmern, die mit der Fa. Euroweb derartige Verträge geschlossen haben, wird ein Weg aufgezeigt, wie die vertraglichen Beziehungen beendet werden können.

Dabei liegt auf der Hand, dass der Unternehmer durch die Tatsache, dass der Besteller sich vom Vertrag lösen will, nicht besser gestellt werden kann als bei der Durchführung des Vertrages. Nur folgerichtig ist es dann,  dass der Unternehmer zu den erbrachten Leistungen und deren Vergütung sowie zu den nicht erbrachten Leistungen und ersparten Aufwendungen unter Offenlegung seiner Kalkulation vorzutragen hat.

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(LH)