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Bundessozialgericht, Urt. v. 09. dezember 2010 – B 13 R 83/09 R

Ein Zuschuss zur Beschaffung eines behinderungsgerechten Kraftfahrzeugs kann als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auch dann in Betracht kommen, wenn auf den behinderten Versicherten ein solches Kraftfahrzeug bereits zugelassen ist, das aber tatsächlich vom Ehepartner genutzt wird.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Der Fall:
Der Kläger begehrte Hilfe zur Beschaffung eines Kfz.

Nach einem Motorradunfall im Jahr 2003 verblieben beim Kläger Beeinträchtigungen, die ihm das Führen eines herkömmlichen Kfz mit Gangschaltung nicht mehr erlaubten; ein solches war ihm vor dem Unfall von seinem Arbeitgeber für seine Außendiensttätigkeit gestellt worden. Ende 2004 beschaffte sich der Kläger zur Wiederaufnahme der Berufstätigkeit ein für ihn geeignetes Kfz; ein solches konnte ihm sein Arbeitgeber nach dessen Auskunft nicht zur Verfügung stellen. Ende 2003 hatte der Kläger bereits ein seit 2002 auf ihn zugelassenes Kfz mit hohem Einstieg und Gangschaltung gegen ein Kfz gleichen Typs mit Automatik-Getriebe eingetauscht. Er macht jedoch geltend, diesen Wagen benötige seine Ehefrau beruflich; diese habe bereits vor dem Unfall das Vorgängermodell genutzt.

Auf den im August 2004 gestellten Antrag auf Kfz-Hilfe bewilligte die Beklagte zwar die Kosten für einen speziellen Fahrersitz sowie für ein Automatik-Getriebe, beteiligte sich jedoch nicht an den Beschaffungskosten für das Fahrzeug. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, dem Klageanspruch stehe entgegen, dass der Kläger vor Beschaffung des neuen Fahrzeugs im Jahr 2004 bereits iS des § 4 Abs 1 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung über ein geeignetes Kfz verfügt habe. Dies sei sogar dann gegeben, wenn nicht der behinderte Mensch, sondern dessen Ehefrau als Halter eingetragen sei, und gelte deshalb erst recht, wenn das Kfz auf den Antragsteller selbst zugelassen sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, es komme nicht auf die Zulassung an, sondern darauf, ob eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit des Kfz bestehe („Bedarfsdeckungsprinzip“).

Die Entscheidung:
Das Bundessozialgericht hat die Sache an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt als Vorinstanz zurückverwiesen.

Der Umstand, dass auf den Versicherten bereits ein behinderungsgerechtes Kfz zugelassen ist, vermag seinen Anspruch auf die begehrte Kfz-Hilfe zur Beschaffung eines Fahrzeugs nicht von vornherein auszuschließen. Vielmehr muss ihm für die erforderlichen Fahrten ein Kfz zuverlässig zur Verfügung stehen.

Nach § 4 Abs 1 KfzHV setzt die Hilfe zur Beschaffung eines Kfz voraus, dass der behinderte Mensch nicht über ein Kfz verfügt, das die Voraussetzungen nach Abs 2 dieser Vorschrift (das sind die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergebenden Anforderungen an Größe und Ausstattung des Pkw) erfüllt und dessen weitere Benutzung ihm zumutbar ist. Diese Regelung solle ausweislich der Begründung im Entwurf der Bundesregierung zur KfzHV angesichts der weitgehenden Motorisierung der Gesellschaft, in der ein Kfz als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zur Standardausstattung auch von Arbeitnehmerhaushalten mit durchschnittlichem Einkommen gehöre, eine Beschränkung der Hilfen auf den unabweisbaren behinderungsbedingten Bedarf sicherstellen (BR-Drucks 266/87 S 12 und S 17 f). Hilfe zur Beschaffung eines Kfz solle nur geleistet werden, wenn dies im Einzelfall notwendig sei; sie komme nicht in Betracht, wenn jemand bei Eintritt der Behinderung bereits über ein behinderungsgerechtes oder ohne unverhältnismäßigen Mehraufwand umzurüstendes Kfz verfüge. Allerdings müsse dem Behinderten die weitere Benutzung des Fahrzeugs unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zumutbar sein (aaO S 18).

Diese Begründung des Verordnungsgebers lasse erkennen, dass das einen Anspruch auf Kfz-Hilfe ausschließende „Verfügen“ über ein Kfz danach zu beurteilen sei, ob tatsächlich eine Verfügungsmöglichkeit über ein Fahrzeug besteht, d.h. ob der konkret bestehende Bedarf des behinderten Menschen faktisch gedeckt ist, weil ihm für die erforderlichen Fahrten ein Kfz zuverlässig zur Verfügung steht (vgl auch BR-Drucks 266/87 S 17 – Zu § 3 Abs 1 Nr 2). Auch die bisherige Rechtsprechung des BSG zu § 4 Abs 1 KfzHV hat unter Bezugnahme auf die Begründung zu dieser Verordnung betont, dass sich der Bedarf bzw die Bedarfsdeckung „nach dem konkreten Ist-Zustand“ richte; deshalb werde der behinderte Mensch „auf ein vorhandenes Kfz“ verwiesen (BSG SozR 3-4100 § 56 Nr 8 S 27).

Dies rechtfertige es, ein (faktisches) Verfügen über ein Kfz i.S.v. § 4 Abs 1 KfzHV auch dann anzunehmen, wenn das Fahrzeug zwar im Eigentum des Ehegatten steht bzw der Ehegatte als Halter eingetragen ist, aber nach den Umständen des Einzelfalls unzweifelhaft ist, dass es zuverlässig für den behinderten Menschen eingesetzt wird.

Die somit gemäß § 4 Abs 1 KfzHV für den Anspruchsausschluss maßgebliche tatsächliche Verfügungsmöglichkeit über ein Fahrzeug im Sinne einer faktischen Bedarfsdeckung darf nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden, weil ein an sich behinderungsgerechtes (oder ohne unverhältnismäßigen Aufwand umzurüstendes) Fahrzeug auf den behinderten Menschen zugelassen ist.

(LH)