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Am 15.12.2017, Az. 26 U 3/14, hat das OLG Hamm entschieden, dass ein Patient vollständig und ausführlich über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt werden muss, wenn nur eine relative Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs besteht.

Was ist passiert?

Seit Ende der 1980er Jahre litt der im Jahre 1951 geborene Kläger an Rückenschmerzen. Im Juli 2010 stellte er sich wegen therapieresistenter Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich in einem Krankenhaus vor, indem der Beklagte als Belegarzt tätig war. Der Beklagte führte nach einigen Tagen stationären Aufenthalts mit einer konservativen Behandlung nach einem erstellten CT ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger, indem er zu einer operativen Versorgung des verengten Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule riet. Der Beklagte führte dann im August 2010 den operativen Eingriff mit einer Discektomie, einer Dekompression, einer Neurolyse sowie einer Spondylodese aus. In beiden Beinen des Klägers stellten sich nach der Operation neurologische Ausfälle ein. Er war nicht mehr in der Lage, das gestreckte Bein anzuheben. Zudem zeigten sich Lähmungen beim Heben und Senken der Füße, eine Blasenentleerungsstörung, und eine Störung der Sexualfunktion. Der Gesundheitszustand des Klägers besserte sich nach zwei Revisionsoperationen, bei denen jeweils ein epidurales Hämatom entfernt wurde, nicht nachhaltig. Der Kläger leidet dauerhaft an einer chronischen inkompletten Kaudalähmung mit Gefühlsstörungen im Bereich der Beine und Füße sowie Schmerzen im Operationsbereich. Der Kläger ist  auf einen Rollstuhl angewiesen und kann nur kurze Strecken mit Gehilfen zurücklegen. Er muss außerdem mit einer dauerhaften Störung der Sexualfunktion und einer sich aufgrund der eingeschränkten Mobilität und chronischen Beschwerden entwickelnden depressiven Störung leben. Zwischenzeitlich hat sich eine nach der Operation aufgetretene Blasenentleerungsstörung zurückgebildet. Der Kläger hat vom Beklagten Schadensersatz verlangt, unter anderem materiellen Schadensersatz in Höhe von ca. 34.500 Euro und ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 200.000 Euro. Er behauptet, der operative Eingriff des Beklagten sei behandlungs- und aufklärungsfehlerhaft vorgenommen worden.

Das LG Arnsberg, Urt. v. 12.11.2013 – 5 O 28/13, hatte die Klage abgewiesen.

Was sagt das OLG Hamm dazu?

Sein Klagebegehren hatte vor dem OLG Hamm dem Grunde nach und – teilweise – der Höhe nach Erfolg. Nach ergänzender Begutachtung durch medizinische Sachverständige hat das Oberlandesgericht dem Kläger den verlangten materiellen Schadensersatz und ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 Euro zugesprochen.

Der Beklagte haftet nach Auffassung des Oberlandesgerichts, weil er den Kläger vor dem ersten Eingriff im August 2010 unzureichend aufgeklärt habe. Insoweit sei die erteilte Einwilligung des Klägers nicht wirksam. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei zudem auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers auszugehen.

Mangels neurologischer Ausfallerscheinungen beim Kläger habe für den vorgenommenen operativen Eingriff nur eine relative Indikation bestanden. Die konservative Behandlung habe alternativ als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden können. Hierüber habe der Beklagte den Kläger aufklären müssen. Die Wahl der Behandlungsmethode sei nach der Rechtsprechung zwar primär Sache des Arztes. Gebe es aber mehrere Behandlungsmöglichkeiten– wie im vorliegenden Fall –, unter denen der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe, müsse ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle. Das Maß und Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht seien um so weitgehender, je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstelle. So sei bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten. Beim Kläger sei im August 2010 die konservative Behandlung weiterhin eine echte Behandlungsalternative zum operativen Eingriff gewesen. Der operative Eingriff sei zudem mit allgemeinen und besonderen Risiken versehen gewesen, über die der Kläger ebenfalls habe aufgeklärt werden müssen. Im Prozess habe der Beklagte nicht nachweisen können, dass er den Kläger über diese Punkte hinreichend aufgeklärt habe.

Weil der Kläger insoweit einen echten Entscheidungskonflikt zwischen den Behandlungsalternativen glaubhaft gemacht habe, könne man von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers in die Operation ebenfalls nicht ausgehen. Dem Beklagten sei auch insoweit nicht gelungen nachzuweisen, dass sich der Kläger für den operativen Eingriff entschieden hätte.

Der Kläger habe infolge des nichtig gerechtfertigten operativen Eingriffs im August 2010 eine chronische inkomplette Kaudalähmung mit erheblichen Einschränkungen seiner Mobilität, eine dauerhafte Störung seiner Sexualfunktion sowie eine sich hierdurch entwickelnde depressive Störung erlitten, die eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 75.000 Euro rechtfertigten. Der Beklagte habe auch den materiellen Schaden zu ersetzen.

  

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 23.01.2018 und Juris das Rechtsportal

 

RH