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Der BGH hat am 12.10.2016, Az. VIII ZR 55/15, entschieden, dass ein Verbraucher, der einen im Onlinehandel erworbenen Katalysator in sein Fahrzeug einbaut und anschließend eine Probefahrt unternimmt, nach dem daraufhin erfolgten Widerruf seiner Kauferklärung verpflichtet ist, dem Verkäufer Wertersatz für die eingetretene Verschlechterung bei der zurückgegebenen Sache zu leisten.

Was ist passiert?

Im Jahr 2012 bestellte der Kläger über die Internetseite der Beklagten, die einen Online-Shop für Autoteile betreibt, einen Katalysator nebst Montagesatz zum Preis von insgesamt 386,58 Euro. Er ließ den Katalysator nach Erhalt von einer Fachwerkstatt in sein Kraftfahrzeug einbauen. Als er nach einer kurzen Probefahrt feststellte, dass der Pkw nicht mehr die vorherige Leistung erbrachte, widerrief er fristgerecht seine auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung und sandte den Katalysator, der nunmehr deutliche Gebrauchs- und Einbauspuren aufwies, an die Beklagte zurück. Diese teilte ihm daraufhin mit, der Katalysator sei durch die Ingebrauchnahme wertlos geworden, weswegen sie mit einem entsprechenden Wertersatzanspruch aufrechne und den Kaufpreis nicht zurückerstatten werde.

Der auf Rückzahlung gerichteten Klage hat das Amtsgericht Lichtenberg, Urt. v. 24.10.2012, Az. 21 C 30/12, in vollem Umfang stattgegeben. Das Landgericht Berlin, hat auf Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage mit Urt. v. 16.02.2015, Az. 84 S 96/12, nur teilweise stattgegeben, weil die Beklagte gegen den Rückzahlungsanspruch wirksam mit einem Wertersatzanspruch gemäß § 357 Abs. 3 BGB a.F. wegen der am Katalysator eingetretenen Verschlechterungen aufgerechnet habe. Die Klägerin begehrt mit der vom Landgericht zugelassenen Revision weiterhin die vollständige Rückzahlung des Kaufpreises, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision einen noch höheren Wertverlust des Katalysators berücksichtigt wissen will.

Was sagt der BGH dazu?

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Dem Verbraucher ist nach Auffassung des BGH beim Fernabsatz vor der Ausübung seines Widerrufsrechts kein wertersatzfreier Umgang mit der Kaufsache gestattet, der nicht nur zu Verschlechterung der Ware führe, sondern auch über die Maßnahmen hinausgehe, die zum Ausgleich ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im stationären Handel erforderlich seien. Zwar entspreche es der erklärten Zielsetzung des nationalen und europäischen Gesetzgebers, dass der Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften die Kaufsache vor Entscheidung über die Ausübung seines Widerrufsrechts nicht nur in Augenschein nehmen dürfe, sondern diese darüber hinaus auch einer Prüfung auf ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise unterziehen könne, ohne eine Inanspruchnahme für einen hieraus resultierenden Wertverlust befürchten zu müssen (§ 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F.). Aufgrund der dem Verbraucher im Fernabsatz entgehenden Prüfungs- und sonstigen Erkenntnismöglichkeiten diene dies der Kompensation von Nachteilen, die im stationären Handel gegeben wären. Auch wenn der Kunde im Ladengeschäft die Ware häufig nicht auspacken, aufbauen und ausprobieren könne, stünden ihm dort doch typischerweise Musterstücke sowie Vorführ- und Beratungsmöglichkeiten zur Verfügung, um sich einen unmittelbaren Eindruck von der Ware und ihren Eigenschaften zu verschaffen.

Jedoch sei eine Ware, die – wie vorliegend der Katalysator –bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden solle, für den Käufer auch im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache überprüfbar. Den streitgegenständlichen Katalysator hätte der Kläger im stationären Handel nicht – auch nicht in Gestalt eines damit ausgestatteten Musterfahrzeugs – dergestalt ausprobieren können, dass er dessen Wirkungsweise auf sein oder ein vergleichbares Kraftfahrzeug nach Einbau hätte testen können. Bei einem Kauf im stationären Handel wäre der Kläger vielmehr darauf beschränkt gewesen, das ausgewählte Katalysatormodell oder ein entsprechendes Musterstück eingehend in Augenschein zu nehmen und den Katalysator mit Alternativmodellen oder dem bisher verwendeten Teil zu vergleichen. Er hätte sich darüber hinaus beim Verkaufspersonal gegebenenfalls über die technische Daten des ausgewählten Modells erkundigen und sich über dessen Vorzüge oder Nachteile gegenüber anderen Modellen fachkundig beraten lassen können. Die vom Kläger ergriffenen Maßnahmen gingen über die Kompensation solcher ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im Ladengeschäft hinaus. Sie stellten sich vielmehr als eine – wenn auch nur vorübergehende – Ingebrauchnahme des Katalysators dar, die ihm eine im stationären Handel unter keinen Umständen eröffnete Überprüfung der konkreten Auswirkungen des erworbenen Autoteils auf die Fahrweise seines Fahrzeugs in der Praxis verschaffen sollte. Weder vom nationalen noch vom europäischen Gesetzgeber sei eine solche Besserstellung des Verbrauchers im Onlinehandel beabsichtigt. Für die eingetretenen Verschlechterungen stünde der Beklagten deshalb ein Wertersatzanspruch gegen den Kläger zu, falls – was bislang noch nicht festgestellt ist – auch die Voraussetzungen des § 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. erfüllt wären.

Der BGH hat aus diesen Gründen das Berufungsurteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zwar sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Grenzen des ihm wertersatzfrei zuzubilligenden Prüfungsrechts überschritten habe. Jedoch fehlten bislang Feststellungen dazu, ob der Kläger bereits bei Vertragsschluss – was das Gesetz in § 357 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. für einen Wertersatzanspruch des Verkäufers voraussetzte – spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf die Rechtsfolge einer möglichen Wertersatzverpflichtung hingewiesen worden war.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 179/2016 v. 12.10.2016 und Juris das Rechtsportal

 

RH