Sachverständige haben Planungen der Bundesregierung zur Verbesserung des Anlegerschutzes in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 13.06.2018 zum Teil heftig kritisiert; die deutsche Kreditwirtschaft befürchtet sogar eine „Entmündigung der Anleger“.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze (BT-Drs. 19/2435) war Grundlage der von der Finanzausschussvorsitzenden Sabine Stark-Watzinger (FDP) geleiteten Anhörung. Dem Entwurf zufolge muss nicht für alle öffentlichen Angebote von Wertpapieren ein Prospekt vorgelegt werden. Statt eines Prospekts soll bei öffentlichen Angeboten mit einem Gesamtgegenwert von 100.000 Euro, aber weniger als 8 Mio. Euro, ein dreiseitiges Wertpapier-Informationsblatt vorgelegt werden müssen. Für die Geldanlage sollen für nicht qualifizierte Anleger Höchstschwellen gelten: „Sofern von einem nicht qualifizierten Anleger ein Betrag von über 1.000 Euro investiert werden soll, ist dies nur dann zulässig, wenn der nicht qualifizierte Anleger entweder über ein frei verfügbares Vermögen in Form von Bankguthaben und Finanzinstrumente von mindestens 100.000 Euro verfügt oder er maximal den zweifachen Betrag seines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens investiert. De Neuregelung sieht eine Begrenzung der Einzelanlage in jedem Fall auf 10.000 Euro vor. Dies wird von Professorin Dörte Poelzig (Universität Leipzig) als überflüssig angesehen. Frau Poelzig zufolge könne auf Anlageschwellen verzichtet werden. Wichtig seien vor allem Informationen für die Anleger.
Die Emissionsobergrenze beträgt für Banken statt 8 nur 5 Mio. Euro. Dies bezeichnete die Kreditwirtschaft als „nicht sachgerecht“: Die Regelung konterkariere damit nicht zuletzt das Ziel der Kapitalmarktunion, insbesondere auch kleinen Instituten den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern. Auch der Fondsverband BVI konnte keinen sachlichen Grund erkennen, um Emissionen von Banken und börsennotierten Emittenten gegenüber anderen – unregulierten – Emittenten zu benachteiligen.
Emittenten von Wertpapieren müssten bereits heute bei Kleinemissionen „Beipackzettel“ für Kleinanleger erstellen. „Worin der Mehrwert eines neuen Informationsblatts besteht ist nicht ersichtlich“, kritisierte die Kreditwirtschaft. Anleger würden durch die geplanten Einschränkungen für nicht qualifizierte Anleger würden entmündigt, da sie nicht mehr die Investitionshöhe selbst bestimmen könnten. Zudem würden die Überprüfungen der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Kunden einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeuten. Auch der BVI sah keine Notwendigkeit für das neue Informationsblatt.
Nach Ansicht der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz soll jeder Anleger selbstbestimmt entscheiden können, welche Investitionen er tätigen möchte oder eben nicht. Vom Gesetzgeber solle ihm die Entscheidungshoheit nicht genommen werden. Die Schutzvereinigung übte auch Kritik an dem Verzicht auf die Prospekterstellung bis zu Emissionen von acht Millionen Euro und verlangte zum Ausgleich, Aufbau und Inhalt des Wertpapier-Informationsblattes an bereits bestehende Informationsblätter anzugleichen. Es müssten auch Angaben zu den Kosten gemacht werden. Gegen das geplante Informationsblatt sprach sich die Gruppe Deutsche Börse aus, weil der Aufwand angesichts der kleinen Emissionen nicht angemessen und für Zwecke des Anlegerschutzes nicht zielführend sei. Die Pflicht zur Erstellung und Genehmigung eines Wertpapier-Informationsblattes errichte zusätzliche neue administrative Hürden für kleine und mittlere Unternehmen“, so die Börse. In Deutschland sei die Kapitalmarktfinanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen im Vergleich zu anderen Ländern ohnehin schon unterdurchschnittlich.
Professor Lars Kühn (Humboldt Universität Berlin) dagegen bezeichnete den Entwurf als einen „gut abgewogenen Kompromiss, gegen den aus wissenschaftlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken bestehen“. Kühn warnte allerdings, dass der Entwurf unseriösen Anbietern von Graumarktprodukten die Tür zum Wertpapiermarkt zu weit öffnen könne. Es bestehe die Gefahr, dass unseriöse Anbieter klassischer Graumarktprodukte die Ausnahmen von der Prospektpflicht nutzen würden, um unter Einschaltung ebenso unseriöser Anlageberater oder Anlagevermittler („Drückerkolonnen“) Wertpapiere im Gegenwert von bis zu 8 Mio. Euro zu vertreiben.
Die Beteiligungsschwellen von 1.000 bzw. 10.000 Euro könnten Rechtsanwalt Peter Mattil zufolge geeignet sein, Privatanleger von einer unüberlegten Anlage abzuhalten. Auch Mattil schilderte, wie schon die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Vorzüge eines Prospekts: Dieser werde mit einem Umfang von oft mehreren hundert Seiten zwar selten aufmerksam gelesen, könne aber „hinterher“ als Informationsquelle für strukturelle Fehler eines Anlagemodells dienen, wenn eine Krise oder Insolvenz eingetreten sei. Mattil wies darauf hin, dass die zusammengebrochene P & R Gruppe einen Prospekt von 160 Seiten veröffentlicht habe, der „alle erdenkliche Informationen enthält – bis auf die wichtigste: Die P&R hat entgegen allen Behauptungen offenbar ein reines Geldkarussell betrieben, ohne jegliche ernsthafte Investitionen. In die P&R Gruppe hätten 55.000 Anleger 3,5 Mrd. Euro investiert. Mattil sprach sich gegen eine Klausel in dem Entwurf aus, die es Emittenten erlaubt, ihre Prospekte in englischer Sprache herauszugeben und plädierte dafür, dass die Anleger wenigstens ein Recht auf Übersetzungen haben müssten.
Auch für Stefan Loipfinger (investmentcheck.de) seien weitere Erhöhungen des Anlegerschutzes nötig, wie der „Skandalfall P&R“ zeige. Diesen Skandal hätten die Regeln des Vermögensanlagengesetzes nicht verhindern können. Von den investierten 3,5 Mrd. seien vermutlich 2,5 Mrd. verschwunden. Den Rahmen von 8 Mio. Euro in einem Jahr, bis zu dem keine Prospektpflicht vorgesehen ist, nannte er zu hoch. Auf diese Weise könne ein Emittent binnen zehn Jahren 80 Mio. Euro Anlegerkapital ohne Prospekt einsammeln. Loipfinger sah in dem Gesetzentwurf nur sehr bedingt mehr Anlegerschutz.
Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen werden nach Angaben des Bundesverbandes Crowdfunding in der Rechtsform einer GmbH betreiben. Typischerweise würden die Rechtsform der Aktiengesellschaft größere Unternehmen wählen, da die Kosten hoch seien. Die Ausnahmen von der Prospektpflicht sollten auf GmbH-Anteile erweitert werden, um die Finanzierungsbedingungen kleinerer Unternehmen zu verbessern, denn sonst werde das von der Prospektverordnung angestrebte Ziel, den Zugang von jungen und mittelständischen Unternehmen zu Kapital zu verbessern, nicht erreicht. Es sollte eine vereinfachte Vermittler-Lizenz zur Verbesserung der Situation der Crowdfunding-Plattformen geben, forderte Karsten Wenzlaff für den Bundesverband Crowdfunding.
In der Anhörung sagte ein Vertreter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): „Egal was Sie tun, Sie können einen Anleger nie zu 100% vor Betrug schützen.“
Quelle: hib – heute im bundestag Nr. 411 v. 13.06.2018 und Juris das Rechtsportal
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