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Die Beschlüsse der EZB, mit denen sechs französischen Kreditinstituten das Recht versagt wurde, bestimmte Risikopositionen im Zusammenhang mit französischen Sparbüchern bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen, hat der EuGH für nichtig erklärt, da der EZB Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler unterlaufen sind.

 Was ist passiert?

Wie die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, hatten einige Kreditinstitute einen zu großen Teil ihrer Investitionen durch Verschuldung statt durch Eigenmittel finanziert. Infolge dieses Mangela an Eigenmitteln führte mussten einige Banken ihre Vermögenswerte dringend veräußern, wodurch die Wirkungen der Finanzkrise verstärkt wurden. Der europäische Gesetzgeber beschloss, ein neues Instrument zur Beurteilung ihrer Ausstattung zu schaffen, nämlich die Verschuldungsquote. Damit sollte ein besserer Überblick über die Eigenmittelausstattung der Kreditinstitute ermöglicht werden. Die Besonderheit der Verschuldungsquote liegt darin, dass sie nicht anhand des Ausmaßes der Risikopositionen der Kreditinstitute berechnet wird und dass grundsätzlich deren gesamte Investitionen in ihre Berechnung einfließen. In die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute wurde allerdings eine Ausnahmeregelung eingefügt, nach der die zuständigen Behörden, darunter die Europäische Zentralbank (EZB), den Kreditinstituten gestatten können, Risikopositionen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen. Um Investitionen im allgemeinen Interesse zu finanzieren müssen die Risikopositionen

  1. a) gegenüber einer öffentlichen Stelle bestehen,
  2. b) in Übereinstimmung mit den Aufsichtsanforderungen an Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen behandelt werden und
  3. c) aus Einlagen stammen, zu deren Übertragung an die unter Punkt a erwähnte öffentliche Stelle das Institut rechtlich verpflichtet ist.

Sechs französische der Direktaufsicht durch die EZB unterliegende Kreditinstitute, stellten bei der EZB den Antrag, bei der Berechnung der Verschuldungsquote die Risikopositionen unberücksichtigt lassen zu dürfen, die sich aus Beträgen aus mehreren bei ihnen eröffneten Sparbüchern („livret A“ [Sparbuch A], „livret de développement durable et solidaire“ [LDD] [Sparbuch für nachhaltige und solidarische Entwicklung] und „livret d’épargne populaire“ [LEP] [Volkssparbuch]) ergaben und auf die Caisse des dépôts et consignations (CDC) (Kasse für Einlagen und Hinterlegungen), eine französische Anstalt des öffentlichen Rechts, übertragen worden waren.

Die EZB verwehrte mit Beschlüssen vom 24.08.2016 die Genehmigung, die gegenüber der CDC bestehenden Risikopositionen, die sich aus den auf den drei oben genannten Sparbüchern angelegten Beträgen ergaben, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen (In Bezug auf die Banque Postale genehmigte die EZB jedoch für einen Teil der betroffenen Risikopositionen, zwischen 2016 und 2023 vorübergehend und degressiv eine solche Nichtberücksichtigung vorzunehmen, um der erheblichen Auswirkung ihres ablehnenden Beschlusses für dieses Kreditinstitut Rechnung zu tragen.). Sie führte zur Begründung führte, selbst wenn die in der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien, stehe es in ihrem Ermessen, ob sie die beantragte Nichtberücksichtigung genehmige. Es sei bei der Ausübung dieses Ermessens zu beachten, dass der Mechanismus der Übertragung von der CDC auf die betroffenen Kreditinstitute Schwächen aufweise und aufsichtsrechtliche Bedenken aufwerfe, was die Ablehnung der Anträge dieser Kreditinstitute rechtfertige. Um die ablehnenden Beschlüsse der EZB für nichtig erklären zu lassen, riefen daraufhin die sechs Kreditinstitute das EuG an.

Was sagt der EuGH dazu?

Die Beschlüsse der EZB hat der EuGH hat für nichtig erklärt.

Zunächst bestätigt das EuG, dass es, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der in Rede stehenden Nichtberücksichtigung erfüllt sind, im Ermessen der EZB steht, ob sie diese Nichtberücksichtigung tatsächlich genehmigt. Es ergebe sich nämlich eindeutig aus dem Wortlaut der Verordnung, dass ein solches Ermessen bestehe, und erkläre sich weiter damit, dass es der EZB gestattet sein müsse, eine Abwägung anhand der Besonderheiten jedes Einzelfalls vorzunehmen, und zwar zwischen einerseits dem Erfordernis, den Grundgedanken der Verschuldungsquote zu beachten (was die Berücksichtigung der Gesamtrisikopositionsmessgröße eines Kreditinstituts ohne Gewichtung anhand des Risikos impliziert), und andererseits der Erwägung, dass bestimmte Risikopositionen, die ein besonders schwaches Risikoprofil aufwiesen und nicht aus einer Investitionsentscheidung des betroffenen Kreditinstituts herrührten, für die Berechnung der Verschuldungsquote irrelevant seien und dabei unberücksichtigt bleiben könnten.

Das EuG prüft sodann, ob der EZB bei der Ausübung ihres Ermessens ein Rechtsfehler oder offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist. Es stellt insoweit fest, dass die EZB ihre Ablehnung mit Aspekten begründet hat, die den Risikopositionen, auf die sich die in der Verordnung vorgesehene Ausnahmeregelung bezieht, inhärent sind, womit sie dieser Ausnahmeregelung ihre praktische Wirksamkeit genommen hat. Ihre Ablehnung habe Sie nämlich damit begründet, dass die Risikopositionen gegenüber der CDC auf der Aktivseite der Bilanz der betroffenen Kreditinstitute stünden (dabei sind die von der Ausnahmeregelung betroffenen Risikopositionen wesensgemäß dazu bestimmt, auf der Aktivseite der Bilanz zu stehen), dass diese Kreditinstitute das operationelle Risiko im Zusammenhang mit regulierten Spareinlagen trügen (dabei entspricht es dem Grundgedanken der Ausnahmeregelung, dass die Kreditinstitute dieses Risiko tragen) und dass eine etwaige Zahlungsunfähigkeit des französischen Staates zur Folge haben könne, dass die auf die CDC übertragenen Beträge den Klägerinnen nicht zurückgezahlt würden (dabei betrifft die Ausnahmeregelung ausschließlich Risikopositionen  gegenüber Staaten, und die EZB hat die Wahrscheinlichkeit einer solchen Zahlungsunfähigkeit nicht untersucht).

Zudem ist das EuG der Auffassung, dass angesichts der Tatsache, dass sich die mit einer übermäßigen Verschuldung verbundenen Risiken im Fall einer unzureichenden Liquidität verwirklichen, der grundsätzliche Standpunkt der EZB, dass sich aufgrund der Anpassungsfrist (d.h. der zwischen den Anpassungen der jeweiligen Positionen der betroffenen Kreditinstitute und der CDC liegenden Frist) die mit einer übermäßigen Verschuldung verbundenen Risiken eher verwirklichen könnten, obwohl die EZB einräume, dass diese Anpassungsfrist kein Liquiditätsrisiko begründe, aufgrund seiner Allgemeinheit und angesichts des Fehlens einer detaillierten Prüfung der typischen Merkmale der regulierten Spareinlagen als offensichtlich fehlerhaft anzusehen sei.

 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 110/2018 v. 13.07.2018 und Juris das Rechtsportal

 

RH