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Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Entscheidung vom 29.09.2014, Az.: 6 U 2/14

Das OLG Schleswig hat entschieden, dass ein Online-Anbieter von Brillen und Kontaktlinsen auch Gleitsichtbrillen vermarkten darf, selbst wenn die Brille allein aufgrund von Angaben aus dem Brillenpass hergestellt und nicht individuell beim Optiker angepasst wird.

Was ist passiert?

Das beklagte Unternehmen vermarktet über das Internet Brillen, Kontaktlinsen, Zubehör und Pflegemittel. Der Besteller einer Gleitsichtbrille wählt dabei über das Internet die Brillenfassung aus und gibt für die Brillengläser die Daten aus seinem Brillenpass ein, insbesondere die Sehstärke. Nach Erhalt der Brille hat der Kunde die Möglichkeit, die Brille bei Nichtgefallen binnen vier Wochen kostenfrei zurückzugeben. Beworben wurde die Gleitsichtbrille unter anderem wie folgt: „Hochwertige Gleitsichtbrillen mit Qualitätsgläsern“ und „individuelle Gleitsichtbrillen, bestehend aus einer modischen Kunststoff-Fassung und Premium-Gleitsichtgläsern in Optiker-Qualität“. Der Zentralverband der Augenoptiker klagte daraufhin und wollte vor Gericht ein Verbot der Online-Vermarktung der Gleitsichtbrillen und der Werbung erreichen.
Das Landgericht Kiel hatte die Klage unter Az.: 16 O 26/13 abgewiesen.

Was sagt das OLG Schleswig dazu?

Das OLG Schleswig hat das Urteil des Landgerichts Kiel vom 13.12.2013 weitgehend bestätigt, jedoch hinsichtlich des Hilfsantrags zu 2. abgeändert. Zu Hilfsantrag 2. war beantragt, es ……zu unterlassen, „Gleitsichtbrillen, denen nur Daten aus dem Brillenpass einschließlich der Pupillendistanz ohne HSA-Wert (Hornhautscheitelabstand), die Fassungsvorneigung und die Einschleifhöhe (vertikale Zentrierung) zugrunde liegen, anzubieten und/oder anbieten zu lassen, ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass ihre Benutzung eine Gefahr im Straßenverkehr darstellen kann.“
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind die Vermarktung der Gleitsichtbrillen über das Internet und die Werbung zulässig. Bei den Gleitsichtbrillen bestehe nicht der begründete Verdacht, dass die Brillen die Sicherheit und Gesundheit ihrer Anwender bei sachgemäßer Anwendung gefährden (§ 4 Medizinproduktegesetz – MPG), auch wenn die Brillen nur auf der Grundlage der Daten aus dem Brillenpass hergestellt und nicht weitere individuelle Parameter des Brillenträgers ermittelt werden. Der klagende Apothekerverband trage selbst nicht vor, dass durch die Verwendung der streitigen Gleitsichtbrillen konkrete Gesundheitsschäden, etwa in Form von Kopfschmerzen, Hals- oder Nackenproblemen aufgetreten sein sollen. Auch wenn die Rückgabequote von 10 bis 12% ein gewisses Indiz für das Auftreten konkreter Beschwerden sein kann, so seien die Beschwerden dann offenbar jeweils rechtzeitig bemerkt worden. Beschwerden, die so rechtzeitig und deutlich bemerkt werden, dass die Brille zurückgegeben wird, könnten aber kaum zu einer wirklichen Gefährdung führen. Allerdings müsse das beklagte Unternehmen den Hinweis erteilen, dass nicht optimal angepasste Gleitsichtbrillen bei Benutzung im Straßenverkehr gefährlich sein können, da sie den Überblick über den seitlichen Straßenverkehr beeinträchtigen können.
Die Bewerbung der Gleitsichtbrillen sei nicht irreführend. Die Bezeichnungen der Gleitsichtbrillen als „hochwertig“ und als „Premium“ seien nichtssagend und könnten deshalb auch einen verständigen und informierten Verbraucher nicht täuschen. Die Bezeichnung der Gleitsichtbrillen als „individuell“ sei zutreffend, weil die Brillengläser anders als bei Fertigbrillen immerhin anhand der vom Kunden mitgeteilten individuellen Werte aus dem Brillenpass angefertigt werden. Auch der Hinweis auf „Optikerqualität“ sei nicht zu beanstanden. Der Kunde wisse, dass dem beklagten Unternehmen anders als einem Optiker zur Anfertigung der Brille nur die Daten aus dem Brillenpass zur Verfügung stehen und folglich das Gestell mit Gläsern nicht dem Gesicht des Kunden angepasst werden könne. Der aufmerksame Verbraucher werde sich deshalb nur vorstellen, dass die Qualität der vom beklagten Unternehmen erstellten Brillen derjenigen entspricht, die ein Optiker ohne Kundenkontakt, also nur auf Grundlage der Daten des Brillenpasses leisten könnte.

Was lernen wir daraus?

Die Entscheidung des OLG Schleswig verdient Zustimmung.

Richtig ist die Feststellung des OLG, dass die Werbung nicht irreführend nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG ist. Insbesondere, dass
• den Bezeichnungen „hochwertig,“ und „Premium“ zur zutreffenden Einschätzung ein Vergleichsobjekt fehlt, sie deshalb nichtssagend sind und
• die Bezeichnung „individuell“ zutreffend ist, da die persönlichen Werte des Kunden aus dem Brillenpass bei der Fertigung zugrunde gelegt werden.

Richtig ist auch die Auffassung des OLG, dass der Hilfsantrag zu 2 begründet ist. Das OLG führte hierzu aus, dass die Beklagte nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 5a Abs. 1, Abs. 2 UWG irreführend handelte indem sie Gleitsichtbrillen anbot, die ohne Ermittlung von Hornhautscheitelabstand, Fassungsvorneigung und Einschleifhöhe hergestellt waren, und hierbei nicht auf die Möglichkeit hinwies, dass die Benutzung dieser Brillen im Straßenverkehr gefährlich sein könne. Damit habe sie ein Risiko verschwiegen über das sie hätte aufklären müssen. Ein entsprechendes Risiko bestehe nämlich insoweit, als die Benutzung von Gleitsichtbrillen der beschriebenen Art im Straßenverkehr gefährlich sein kann. Dazu sei ein entsprechender Hinweis erforderlich.

Quelle: Juris das Rechtsportal, Urteil des OLG Schleswig, Az.: 6 U 2/14

LHW