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Am 04.10.2018 hat der BGH zu Az. III ZR 292/17 entschieden, dass der Bewohner eines Pflegeheims, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, das vereinbarte Entgelt an das Heim nicht zahlen muss, wenn er nach einer Eigenkündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist auszieht.

 Was ist passiert?

Der Kläger ist an Multipler Sklerose erkrankt und auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen. Er bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und verlangt vom Beklagten, einem Pflegeheimbetreiber, Rückzahlung von Heimkosten.

Der Kläger war von Dezember 2013 bis zum 14.02.2015 in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Der Bewohner konnte nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag das Vertragsverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen. Der Kläger fand Ende Januar 2015 einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim und kündigte daraufhin den Wohn- und Betreuungsvertrag mit dem Beklagten mit Schreiben vom 28.01.2015 zum 28.02.2015. Weil kurzfristig in dem anderen Pflegeheim schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am 14.02.2015 aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz. Für den gesamten Monat Februar 2015 stellte der Beklagte dem Kläger – nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 – Heimkosten in Höhe von 1.493,03 Euro in Rechnung. Der Kläger bezahlte diese Rechnung zunächst vollständig. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozialleistungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der bezahlten 1.493,03 Euro. Dies lehnte der Beklagte jedoch ab. Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlung des Heimentgelts sei für die zweite Februarhälfte 2015 ohne Rechtsgrund erfolgt. Mit seinem Auszug am 14.02.2015 sei seine Zahlungspflicht entsprechend dem Grundsatz der taggenauen Abrechnung gemäß § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI erloschen.

Der auf Zahlung von 1.493,03 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage hat das Amtsgericht Öhringen mit Urteil vom 15.04.2016 – 2 C 256/15 – stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat vor dem LG Heilbronn, Urteil vom 21.08.2017 – (II) 5 S 27/16 – keinen Erfolg gehabt.

Was sagt der BGH dazu?

Die Revision des Beklagten hat der BGH im Wesentlichen zurückgewiesen.

Erfolg hat das Rechtsmittel nur, soweit die Klageforderung auf zwei Berechnungsfehlern beruht (insgesamt 362,63 Euro). Die Revision ist im Übrigen unbegründet.

Der Beklagte hat nach Auffassung des BGH das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückzuerstatten. Die Zahlungspflicht des Klägers habe mit dem Tag seines Auszugs am 14.02.2014 gemäß § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI i.V.m. § 15 Abs. 1 WBVG geendet. Nach § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI, dem das Prinzip der tagesgleichen Vergütung zugrunde liege, würden die im Begriff des Gesamtheimentgelts zusammengefassten Zahlungsansprüche der Einrichtung für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts taggenau berechnet. Der Zahlungsanspruch des Heimträgers bestehe danach nur für die Tage, in denen sich der Pflegebedürftige tatsächlich im Heim aufhalte (Berechnungstage). § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI ordne in Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag ende, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen werde oder versterbe.

87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI regele nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers. Ebenso erfasse diese Vorschrift die zivilrechtliche Vergütungspflicht des Heimbewohners. Die Regelung sei eine gegenüber den heimvertraglichen Bestimmungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes vorrangige Sonderregelung zugunsten von Heimbewohnern, die gleichzeitig Leistungsbezieher der Pflegeversicherung seien. Dieser Vorrang komme darin zum Ausdruck, dass abweichende Vereinbarungen nichtig seien (§ 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI). Die Systematik des § 87a Abs. 1 SGB XI sowie die Entstehungsgeschichte und der daraus ableitbare Zweck des Gesetzes sprechen dafür, dass ein „Entlassen“ i.S.d. § 87a Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB XI auch dann vorliege, wenn der Pflegebedürftige – nach einer Kündigung des Heimvertragsverhältnisses – vor Ablauf der Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG endgültig ausziehe.

Aus der Regelung des § 87a Abs. 1 Satz 3 SGB XI erschließe sich, dass der Begriff „Entlassen“ auch den Umzug beziehungsweise die Verlegung des Pflegebedürftigen in ein anderes Heim erfasse. Klargestellt werde darin, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners gegenüber dem bisherigen Pflegeheim nicht für den Umzugs-/Verlegungstag bestehe und insofern ein Heimentgelt nur durch die aufnehmende Pflegeeinrichtung berechnet werden dürfe. Das Gesetz bringe damit zugleich zum Ausdruck, dass für die restlichen Tage des Monats, in dem der Auszugs-/Verlegungstag liege, kein Entgelt mehr an das bisherige Pflegeheim zu zahlen sei.  Dies gelte unabhängig davon, ob der Heimbewohner, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung beziehe, die Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG einhalte. Nach der Regelung § 87a Abs. 1 Satz 5 bis 7 SGB XI über die Vergütungspflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit vom Heim setze ein Vergütungsanspruch der Einrichtung (gegebenenfalls unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen) voraus, dass der Pflegebedürftige das Heim nur vorübergehend i.S.d. § 87a Abs. 1 Satz 5, 6 SGB XI verlasse (z.B. wegen eines Krankenhausaufenthalts) und deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes habe.

Dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Zahlungspflicht des Heimbewohners mit dem Tag enden solle, an dem er die Pflegeeinrichtung endgültig verlasse – mag dies auch vor Ablauf einer Kündigungsfrist geschehen -, würde die Entstehungsgeschichte der in § 87a Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB XI enthaltenen Regelungen und der Gesetzeszweck bestätigten. § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI bezwecke den Schutz des Heimbewohners (bzw. seiner Erben) oder seines Kostenträgers vor der doppelten Inanspruchnahme für etwaige Leerstände nach dem Auszug (oder dem Tod) des Heimbewohners. Die durch Leerstände verursachten Kosten Nach der üblichen Praxis der Heimträger würden sowie im Rahmen der Auslastungskalkulation durch gesonderte Wagnis- und Risikozuschläge in die Pflegesätze eingerechnet und anschließend anteilig auf die Heimbewohner umgelegt. Für den Gesetzgeber sei dies Veranlassung gewesen, den Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers bei Versterben oder bei einem Auszug des Heimbewohners auf den Tag der Beendigung der tatsächlichen Leistungserbringung zu begrenzen. Ansonsten werde die Zeit des Leerstandes zulasten des Heimbewohners doppelt berücksichtigt.

Die Zahlungspflicht des Klägers ende danach mit dem Tag seines Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten am 14.02.2015. Er falle als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in den Anwendungsbereich des § 87a Abs. 1 SGB XI. Für den Beklagten sei aus der Kündigung vom 28.01.2015 erkennbar gewesen, dass der Kläger das Pflegeheim endgültig verlassen wollte. Da der Beklagte nach dem Auszug des Klägers keine Leistungen mehr erbracht habe und auch nicht verpflichtet gewesen sei, den Pflegeplatz freizuhalten, bestehe insofern nach den Grundsätzen des § 87a Abs. 1 Satz 1, 2 SGB XI auch kein Vergütungsanspruch.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 164/2018 v. 04.10.2018 und Juris das Rechtsportal

Siehe auch: https://raheinemann.de/duerfen-pflegedienste-ausserhalb-des-oertlichen-einzugsbereichs-pflegen/ und https://raheinemann.de/vier-prozent-pauschaler-gewinnzuschlag-fuer-pflegeheime/

 

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