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LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14. Juli 2009 – L 5 KR 19/09 B ER

1.) Wiederholte oder schwerwiegende Verstöße gegen die Vertragspflichten aus dem Vertrag nach §§ 132, 132a SGB V können einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung des Versorgungsvertrages begründen.
2.) Das besondere Interesse der Krankenkasse am Schutz ihrer Versicherten überwiegt das Interesse der Mitarbeiter eines Pflegedienstes am Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
(Leitsätze des Bearbeiters)

Der Fall:
Die Beteiligten stritten nach Erledigung des Verfahrens (nur) noch um die Kosten.

Zwischen den Beteiligten war es zu einer Auseinandersetzung über die Wirksamkeit einer Kündigung eines Vertrages über die Durchführung häuslicher Pflege und Versorgungsleistungen nach §§ 132 Abs. 1, 132a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Krankenkasse gekommen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hatte in den Jahren 2005 bis 2008 insgesamt 4 Qualitätsprüfungen  durchgeführt. Im Prüfbericht aus dem Jahre 2008 hieß es, dass nach wie vor notwendige Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht durchgeführt worden seien. Besonders kritisch sei zu bewerten, dass erneut eine Sekundärerkrankung bei einem Versicherten festgestellt worden sei und der Pflegedienst im Vorfeld und auch bei bereits bestehendem Dekubitus keine entsprechenden Maßnahmen eingeleitet habe. Der Umgang mit weiteren Risikobereichen sei ebenfalls nicht ausreichend. Es fehlten ausreichende Pflegeprozessplanungen. Der Mitarbeitereinsatz erfolge weiterhin nicht entsprechend der Qualifikation der Mitarbeiter.

Die Krankenkasse forderte den Pflegedienst unter Fristsetzung zur konkreten Benennung von Maßnahmen, wie eine sorgfältige und einwandfreie sowie dem aktuellen Stand entsprechende Versorgung sichergestellt werden könnte, auf. Der Pflegedienst  nahm zu dem Prüfbericht des MDK Stellung und kündigte an, den Beanstandungen abzuhelfen.

Daraufhin kündigte die Krankenkasse den Versorgungsvertrag zum Ende des Jahres 2008. Zur Begründung gab sie an, dass der Pflegedienst nicht zu allen vom MDK beanstandeten Gesichtspunkten Stellung genommen habe. Bis auf eine Handzeichenliste seien keine Unterlagen oder Nachweise zu behandlungsspezifischen Verbesserungen vorgelegt, sondern nur Absichtserklärungen oder Behauptungen abgegeben worden. Die erneute Unvollständigkeit der Patientenpflegedokumentation sei bestätigt worden. Erschwerend wirke sich aus, dass seit Anfang 2005 immer wieder behandlungspflegerische Mängel, insbesondere Einsatz unqualifizierten Personals und Personenschädigungen, aufgetreten seien.

Dagegen hat der Pflegedienst Klage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Pflegedienst hat eine „to-do-Liste“ vorgelegt und geltend gemacht, es seien zahlreiche Maßnahmen zur Abhilfe der MDK-Beanstandungen durchgeführt worden. Die Krankenkasse hat sich erstinstanzlich bereit erklärt, im Hinblick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Vertragsverhältnis vorläufig bis zum 31. Januar 2009 fortzuführen.

Das Sozialgericht  hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und dies im Wesentlichen damit begründet, dass bei der gebotenen summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes die Klage in der Hauptsache keinen Erfolg habe. Die Beanstandungen stellten hinreichende Gründe für eine fristlose Kündigung im Sinne des zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrages dar. Die wiederholten Beanstandungen anlässlich der seit 2005 erfolgten Prüfungen zeigten, dass eine dauerhafte Qualitätsverbesserung nicht zu verzeichnen sei. Gerade die genaueste Erfüllung der Dokumentationspflicht sei für die Antragstellerin besonders wichtig, weil diese nur dadurch den Vorwurf, Gesundheitsschädigungen der von ihr betreuten Patienten verschuldet zu haben, entkräften könnte. Im Hinblick auf die besonderen Interessen der pflegebedürftigen Patienten auf Unversehrtheit von Leib und Leben sei die ausgesprochene Kündigung nicht zu beanstanden. Außerdem sei ein Anordnungsgrund zu verneinen, weil die Antragstellerin jedenfalls bis zum 30. September 2009 aufgrund des Versorgungsvertrages mit den Landesverbänden nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) berechtigt sei, ambulante Pflegeleistungen abzurechnen.

Gegen diesen Beschluss hat der Pflegedienst Beschwerde eingelegt. Nachdem der Pflegedienst eine neue Pflegedienstleitung eingestellt hatte, haben die Beteiligten rückwirkend zum 1. Februar 2009 einen neuen Versorgungsvertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V geschlossen. Daraufhin haben die Beteiligten das Verfahren für erledigt erklärt.

Die Entscheidung:
Das Landessozialgericht hat dem Pflegedienst die Kosten des Verfahrens auferlegt, weil seiner Ansicht nach die überwiegenden Gründe dafür sprachen, dass der Pflegedienst im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg gehabt hätte.

Dies gelte, so das Gericht, sowohl hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Kündigung des Versorgungsvertrags durch die Krankenkasse als auch hinsichtlich eines Anspruchs des Pflegedienstes auf einen erneuten Abschluss eines Versorgungsvertrages, jedenfalls solange keine neue Pflegedienstleitung eingestellt war.

Wiederholte oder schwerwiegende Verstöße gegen die Vertragspflichten könnten einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung des Versorgungsvertrages begründen.

Vorliegend spreche alles dafür, dass wegen der vom MDK im Einzelnen aufgezählten Mängel beim Pflegedienst, die bereits jahrelang bestanden hatten, ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben gewesen sei. Die Mängel waren auch nach der Kündigungserklärung jedenfalls vor der Einstellung der neuen Pflegedienstleitung nicht in ausreichendem Umfang behoben.

Daran ändere auch nichts, dass sich die Krankenkasse mittlerweile zum Abschluss eines neuen Vertrages mit der Antragstellerin bereit erklärt hatte. Denn dies belege keineswegs, dass auch vor der Einstellung der neuen Pflegedienstleitung die vorhandenen Mängel in ausreichendem Umfang beseitigt gewesen wären. Vielmehr erscheine es sachgerecht, dass die Krankenkasse gerade wegen der Auswechslung der Pflegedienstleitung einen neuen Vertrag abgeschlossen habe, weil erst jetzt begründeter Anlass bestehe, mit einer dauerhaften Besserung der Leistungserbringung durch den Pflegedienst rechnen zu können.

Zudem habe vor der Auswechslung der Pflegedienstleitung das besondere Schutzinteresse der pflegebedürftigen Personen zu Gunsten der Krankenkasse gesprochen. Dieses sei dem Interesse der Mitarbeiter des Pflegedienstes am Erhalt ihrer Arbeitsplätze vorrangig.

Konsequenzen für die Praxis:
Die Entscheidung verdient zunächst dem Grunde nach Zustimmung. Fortgesetzte und beharrliche Verstöße gegen Vertragspflichten begründen auch nach den allgemeinen Regeln einen wichtigen Grund, der ein Festhalten am Vertrag für den anderen Teil regelmäßig unzumutbar macht. Gründe für einen abweichenden Beurteilungsmaßstab im Sozialrecht sind nicht erkennen – zumal in § 69 Abs. 1 S. 3 SGB auch die entsprechende Geltung der Vorschriften des BGB angeordnet ist.

Nur im Endergebnis richtig, doch in der Begründung verfehlt sind die Ausführungen zum Überwiegen der Schutzinteressen der pflegebedürftigen Personen über das Mitarbeiterinteresse am Arbeitsplatzerhalt. Aus Sicht der Verfahrensbeteiligten handelt es sich dabei um ein Interesse nicht beteiligter Dritte. Auf Drittinteressen kann sich ein Prozessbeteiligter grundsätzlich nicht berufen. Mangels Erheblichkeit der Mitarbeiterinteressen wäre die Frage nach einem Überwiegen daher nicht zu entscheiden gewesen.
(LH)