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Das BVerfG hat am 11.01.2016, Az. 1 BvR 2980/14, eine Verfassungsbeschwerde gegen den sogenannten „Pflegenotstand“ nicht zur Entscheidung angenommen.

Was ist passiert?

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB XI haben pflegebedürftige Personen Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falles nicht in Betracht kommt.
Aufgrund ihres Gesundheitszustandes befürchten die Beschwerdeführer, in absehbarer Zeit vollstationärer Pflege in einem Pflegeheim zu bedürfen. Die Beschwerdeführer nehmen zum Teil bereits ambulante Pflegedienste in Anspruch oder werden von Angehörigen im häuslichen Umfeld gepflegt. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wollen die Beschwerdeführer auf Missstände in deutschen Pflegeheimen aufmerksam machen; sie halten die Verletzung von Schutzpflichten der öffentlichen Gewalt gegenüber den Bewohnern von Pflegeheimen aufgrund von gesetzgeberischer Untätigkeit für gegeben. Die bisherigen Reformen und Gesetzesnovellen hätten keine spürbare Verbesserung der Situation von Pflegeheimbewohnern gebracht.
Die Beschwerdeführer begehrten die Feststellung, dass die gegenwärtigen staatlichen Maßnahmen zum Schutze der Grundrechte von Pflegeheimbewohnern nicht genügen und der Staat zur Abhilfe und kontinuierlichen Überprüfung verpflichtet ist.

Was sagt das BVerfG dazu?

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Nach Auffassung des BVerfG ist sie unzulässig, da eine Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht durch grundgesetzwidriges Unterlassen des Gesetzgebers sowie die eigene und gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert vorgetragen wurde.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den an sie zu stellenden Begründungserfordernissen genügt.
1. Nur in seltenen Ausnahmefällen lassen sich der Verfassung konkrete Pflichten entnehmen, die den Gesetzgeber zu einem bestimmten Tätigwerden zwingen. Ansonsten bleibt die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts dem Gesetzgeber überlassen. Ihm kommt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann vom BVerfG nur begrenzt nachgeprüft werden. Es kann erst dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletzt hat.
Eine Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht durch Unterlassen des Gesetzgebers ist nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. Weder führen die Beschwerdeführer aus, unter welchen Gesichtspunkten die bestehenden landes- und bundesrechtlichen Regelungen zur Qualitätssicherung evident unzureichend sein sollten, noch zeigt die Verfassungsbeschwerde substantiiert auf, inwieweit sich eventuelle Defizite in der Versorgung von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen durch staatliche normative Maßnahmen effektiv verbessern ließen.
2. Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch nicht hinreichend substantiiert auf, dass die Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt sind. Die Möglichkeit der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit ist grundsätzlich erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird. Vorliegend ist bereits die Notwendigkeit von stationärer Pflege in der Person der Beschwerdeführer nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit gegeben. Hinzu kommt, dass Pflegebedürftige gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XI zwischen den für die Versorgung zugelassenen Pflegeheimen wählen können. Gegenüber grundrechtswidrigen Pflegemaßnahmen ist um fachgerichtlichen Rechtsschutz zu ersuchen.

Was lernen wir daraus?

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zu Recht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für die Beschwerdebefugnis gem. § 90 BVerfGG lagen aus den vom BVerfG aufgezeigten Gründen nicht vor.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 12/2016 v. 19.02.2016
RH