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Widerrufsrecht beim Online- oder Telefon-Kauf von Lehman-Zertifikaten? Dazu hat der BGH am 27.11.2012, XI ZR 384/11 und XI ZR 439/11 entschieden. Und zwar können Anleger, die insbesondere „Lehman-Zertifikate“ per Telefon oder E-Mail erworben haben, ihre auf Abschluss der Erwerbsverträge mit der Bank gerichtete Willenserklärung nicht nach den Regeln über den Fernabsatz widerrufen, so der BGH.

Was ist passiert?

In beiden Fällen erwarben die Anleger von derselben beklagten Bank. In der Sache XI ZR 439/11 zusammen mit weiteren Finanzprodukten anderer Emittenten – jeweils „Global Champion“-Zertifikate. Hierbei handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde.

In der Sache XI ZR 384/11 erteilten die Klägerin und ihr Ehemann aufgrund eines mit einem Mitarbeiter der Beklagten geführten Beratungsgesprächs am 8 Februar 2007 den Auftrag zum Kauf von 16 Zertifikaten. Dabei ist zwischen den Parteien streitig, ob das Verkaufsgespräch ganz oder teilweise telefonisch erfolgte. Das Geschäft wurde von der Beklagten im Eigenhandel zu einem Festpreis ausgeführt.

Nach der Insolvenz der Emittentin und der Garantin wurden die Zertifikate weitgehend wertlos. Im Februar 2010 erklärten die Eheleute den Widerruf aller von ihnen im Zusammenhang mit dem Kauf abgegebenen Erklärungen. Mit der in beiden Vorinstanzen erfolglosen Klage verlangt die Klägerin aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes im Wesentlichen die Rückzahlung des Anlagebetrages von 16.069,60 €. Und zwar nebst Zinsen abzüglich einer Bonuszahlung.

In der Sache XI ZR 439/11 erwarb der Ehemann der Klägerin auf Empfehlung von Mitarbeitern der beklagten Bank teilweise aufgrund von Telefonaten und teilweise per E-Mail verschiedene Zertifikat. Darunter auch „Global Champion“-Zertifikate – sowie Anteile eines u.a. in Zertifikate investierenden Fonds. Im Juli 2011 widerrief der Zedent sämtliche Vertragserklärungen gegenüber der beklagten Bank. Mit der ebenfalls in beiden Vorinstanzen erfolglosen Klage begehrt die Klägerin aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes zuletzt noch die Rückerstattung verlorener Anlagebeträge in Höhe von 72.394,37 €.

Widerrufsrecht beim Online- oder Telefon-Kauf von Lehman Zertifikaten? Dazu der BGH:

Die Entscheidung

Der XI. Zivilsenat hat die von den Berufungsgerichten zugelassenen Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen.

Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen für seine Entscheidung maßgeblich:

§ 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB

Nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB kann eine auf Abschluss eines Fernabsatzvertrages gerichtete Willenserklärung dann nicht widerrufen werden, wenn Gegenstand des Vertrages die Verschaffung von Finanzdienstleistungen ist, deren „Preis“ innerhalb der Widerrufsfrist – dem Einfluss des Unternehmers, hier der Bank, entzogenen – Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt.

Begriff des „Preises“

Dabei ist der Begriff des Preises nach der Systematik und der Gesetzgebungsgeschichte weit zu verstehen. Und zwar ist „Preis“ nicht nur ein Börsen- oder Marktpreis, der für das Produkt selbst auf dem Finanzmarkt gezahlt wird. „Preis“ im Sinne des § 312d Abs 4 Nr 6 BGB können vielmehr auch die Parameter sein, von denen der Wert des Finanzprodukts abhängt.

§ 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB im vorliegenden Fall einschlägig?

So sollten etwa Bonuszahlungen und die Rückzahlung der „Lehman-Zertifikate“ in Abhängigkeit von der Entwicklung dreier Aktienindizes (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor´s 500 sowie Nikkei 225) während dreier aufeinander folgender Beobachtungszeiträume ab dem 7. Februar 2007 erfolgen.

Entsprechend hing der innere Wert der Zertifikate mit Beginn der Beobachtungszeiträume von Parametern („Basiswerten“ oder „Underlyings“) ab, die von der beklagten Bank nicht beeinflussbaren Schwankungen auf den Finanzmärkten unterworfen waren. Nämlich von der Entwicklung der drei Aktienindizes.

Der Ausschluss des Widerrufsrechts nach bei dem Erwerb solcher Papiere soll das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien verteilen.

Der Anleger, der wie in den entschiedenen Fällen zugleich Verbraucher ist, soll einen drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen können.

Weil ein Widerrufsrecht schon nach § 312d Abs 4 Nr 6 BGB nicht in Betracht kam, konnte das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrages dahinstehen.

(Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 197/12 vom 27. November 2012)

Widerrufsrecht beim Online- oder Telefon-Kauf von Lehman Zertifikaten?

Siehe auch: https://raheinemann.de/kein-nutzungsersatz-nach-widerruf-von-fernabsatz-darlehensvertrag/ und https://raheinemann.de/widerruf-darlehensvertrag-bei-nicht-ordnungsgemaessen-pflichtangaben/

RH

Rechtsanwalt Rolf Heinemann: Widerrufsrecht beim Online- oder Telefon-Kauf von Lehman-Zertifikaten? Dazu hat der BGH am 27.11.2012, XI ZR 384/11 und XI ZR 439/11 entschieden.