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SG Schwerin, Urt. v. 01. Juli 2009 – S 3 KA 31/08

Eine Teilzeit-Tätigkeit als Chefarzt in einem Krankenhaus mit einem Arbeitsumfang von nicht mehr als 13 Stunden ist mit einer Tätigkeit als Vertragsarzt in den Räumen des Krankenhausgebäudes vereinbar.
(Leitsatz des Bearbeiters)

Der Fall:
Der Kläger, ein niedergelassener Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, wandte sich gegen den Entzug seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.

Im Rahmen des Zulassungsverfahrens hatte der Kläger seine – dem Zulassungsausschuss im Übrigen bekannte – Tätigkeit als Krankenhausarzt und Chefarzt der Klinik für Gynäkologie eines Krankenhauses in seinem Anstellungsvertrag auf 13 Stunden pro Woche beschränkt. Die als Praxis genutzten Räume befanden sich im 3. Obergeschoss des Krankenhausgebäudes.

Der beklagte Berufungsausschuss entzog dem Kläger die die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Der Beklagte gründete seine Entscheidung auf § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 20 Ärzte-ZV. Die Chefarzt-Tätigkeit des Klägers sei ihrem Wesen nach schon ganz generell mit der des zugelassenen Vertragsarztes nach nicht zu vereinbaren. Dies gelte selbst dann, wenn der zeitliche Umfang der Chefarzt-Tätigkeit wöchentlich 13 Stunden tatsächlich nicht übersteige. Es bestehe zudem die Gefahr einer Interessenkollision. Der Kläger könne einerseits Patientinnen unter Umgehung des Prinzips der beschränkt freien Arztwahl in seine Praxis ziehen. Andererseits sei der Kläger durch seinen Chefarztvertrag verpflichtet, sich mit den Unternehmenszielen des Klinikums zu identifizieren. Nehme der Kläger diese Verpflichtung ernst, führe dies zwangsläufig in Einzelfällen dazu, dass er unter Vermischung der ambulanten und stationären Behandlung Patientinnen in seine Obhut als Chefarzt des Klinikums übernehme. Verstärkt werde diese Gefahr noch durch die räumliche Verzahnung.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er hat auf die Ergänzung des § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) verwiesen. Danach sei die Tätigkeit in oder die Zusammenarbeit mit einem zugelassenen Krankenhaus nach § 108 SGB V mit der Tätigkeit des Vertragsarztes vereinbar. Er stehe auch in dem erforderlichen Umfang für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung. Entscheidend sei, dass sich die Tätigkeit im Beschäftigungsverhältnis auf nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich beschränke und er somit hauptberuflich als Vertragsarzt tätig sei. Wesentliche Teile der vertraglichen Aufgaben seien arbeitsrechtlich reduziert oder vollständig anderen Ärzten übertragen worden. Ebenso könne die Gelegenheit der Räume im Gebäude des Krankenhauses keine Interessenkollision begründen. Es liege eine klare räumliche und organisatorische Trennung zwischen Praxis und Krankenhaus vor. Dies hätte Zulassungsausschuss bereits überprüft und nicht beanstandet.

Die Entscheidung:
Das SG Schwerin hat der Klage stattgegeben.

Die Zulassungsentziehung beurteile sich nach § 95 Abs. 6 SGB V. Hiernach sei die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorlägen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnehme oder nicht mehr ausübe oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletze. Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV sei für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ein Arzt nicht geeignet, der wegen eines Beschäftigungsverhältnisses oder wegen anderer nicht ehrenamtlicher Tätigkeit für die Versorgung der Versicherten persönlich nicht in erforderlichem Maß zur Verfügung stehe. Außerdem sei für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ein Arzt nicht geeignet, der eine ärztliche Tätigkeit ausübe, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren sei (Abs. 2 Satz 1). Mit der Tätigkeit des Vertragsarztes vereinbar sei aber die Tätigkeit in oder die Zusammenarbeit mit einem zugelassenen Krankenhaus nach § 108 des SGB V oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung nach § 111 SGB V (Abs. 2 Satz 2).

Andere Tatbestände der Nichteignung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Kläger stehe für die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich im erforderlichen Maß zur Verfügung. Die gleichzeitige Tätigkeit als Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe steht dem nicht entgegen. Andere Tätigkeiten seien vom Beklagten nicht dargelegt worden.

Für Vertragsärzte, die ihren Versorgungsauftrag nicht auf die Hälfte reduziert haben (vgl. § 95 Abs. 3 SGB V), sei für die Auslegung des § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV weiterhin auf die Entscheidung des BSG vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 20/01 R zu verweisen. Dieser folge das Gericht Ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Bewerber um die Zulassung als Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeut stehe im Sinne von § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV für die Versorgung der Versicherten nur dann in erforderlichem Umfang zur Verfügung, wenn die Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich betrage.

Eine sog. quantitative Unvereinbarkeit sei nicht festzustellen. Die gesamtvertragliche Festlegung zu Mindestsprechzeiten erfülle der Kläger. Gemäß § 17 Abs. 1a Satz 1 BMV-Ä sei der sich aus der Zulassung des Vertragsarztes ergebende Versorgungsauftrag dadurch zu erfüllen, dass der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung steht. Das sei ausweislich der vom Kläger auf dem Praxisschild bekanntgegebenen Sprechzeiten der Fall (insgesamt. 32 Stunden pro Woche).

Die Arbeitszeit des Klägers sei auf der Grundlage seines Dienstvertrages auch auf 13 Stunden wöchentlich begrenzt. Die Kammer habe sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Kläger tatsächlich in zeitlich größerem Umfang in den Klinikalltag eingebunden sei. Der Dienstvertrag des Klägers habe eine Veränderung dahingehend erfahren, dass eine Reihe von Arbeitsaufgaben nicht mehr konkret benannt und ausdrücklich zum Aufgabengebereich des Chefarztes zugehörig vorgegeben werden würden. Entscheidend sei jedoch, dass es dem Kläger erlaubt sei, die Ausführung zahlreicher Aufgaben auf Mitarbeiter zu delegieren. Diese stünden ihm angesichts der Größe der Klinik auch in ausreichender Weise zur Verfügung.

Die Nichteignung des Klägers ergebe sich auch nicht aus seiner Stellung als Chefarzt und den nach dem Dienstvertrag übernommenen Pflichten (sog. qualitative Unvereinbarkeit).

Insoweit regele § 20 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV eindeutig und ohne Differenzierung nach Leitungsfunktionen im Krankenhaus, dass die Tätigkeit in einem – wie hier gegeben – zugelassenen Krankenhaus nach § 108 des SGB V mit der Tätigkeit als Vertragsarzt vereinbar ist. Der Gesetzgeber des VÄndG habe mit der Einfügung von Satz 2 in Abs. 2 Ärzte-ZV der früheren Rechtsprechung des BSG, wonach ein Arzt nicht gleichzeitig als angestellter Krankenhausarzt und als Vertragsarzt tätig sein, es sei denn er übe keine unmittelbar patientenbezogene Tätigkeit aus (dazu: BSG, Urt. v. 05. November 1997 – 6 RKa 52/97), die Grundlage entzogen. Die Gesetzesmaterialien machten dies hinlänglich deutlich. Die Änderung solle ausdrücklich ermöglichen, dass ein Vertragsarzt über die bereits von der Rechtsprechung anerkannten Fälle der nicht patientenbezogenen Tätigkeit hinaus in einem Krankenhaus oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung tätig sein könne oder mit einer solchen Einrichtung kooperieren könne, ohne dass damit seine Eignung als Vertragsarzt in Frage gestellt sei (BT-Drs 16/2474 zu Nummer 6 (§ 20 Abs. 2), S. 29).

Daran ändere auch die „Budgetverantwortung“ des Klägers nichts. Hierbei handele es sich um eine für Chefarztverträge typische Regelung Hätte der Gesetzgeber angestellte Chefärzte von der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV ausnehmen wollen, hätte dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Dies ist aber nicht der Fall.

Konsequenzen für die Praxis:
Es steht außer Diskussion, dass das Urteil des SG Schwerin eine wohl eher selten anzutreffende Konstellation betrifft. Neben der räumlichen Nähe erscheint auch eine Teilzeit-Chefarzttätigkeit eher außergewöhnlich.

Begrüßenswert ist das Urteil insbesondere aber deshalb, weil das Gericht der Argumentation des Berufungsausschusses, die Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV gelte nicht für Chefärzte, eine klare Absage erteilt hat. Denn diese Ansicht findet keine Stütze im Gesetz.
(LH)