Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Und zwar haben die in den Instanzen mit dieser Frage in dem vorliegenden Fall befassten Gerichte keine einheitliche Rechtsauffassung vertreten.
Zunächst hat das Amtsgericht die zu vorliegendem Fall gestellte Frage verneint und das alleinige Sorgerecht auf die Mutter übertragen.
Am 27.02.2019 hat dazu das OLG Frankfurt in 2. Instanz anders entschieden. Und zwar in dem Rechtsstreit mit dem Az. – 8 UF 61/18 –. Nach der Ansicht des OLG Frankfurt kann unter Umständen die Übertragung des alleinigen Sorgerechts unnötig sein. Und zwar soll dies dann der Fall sein können, wenn ein Elternteil bereits über eine Vollmacht zur Ausübung des Sorgerechts verfügt.
Der BGH hat dann auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hin am 29.04.2020, Az. XII ZB 112/19, den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27.02.2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben. Und zwar werde eine Übertragung der vollständigen elterlichen Sorge auf die Kindesmutter auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht durch die erteilten Vollmachten entbehrlich gemacht.
Was ist passiert?
Der Sachverhalt
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Zur dieser Frage hatten zunächst das OLG Frankfurt und dann der BGH über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Das Sorgerecht für den Sohn teilen sich die biologischen Eltern. Die Eltern sind nicht miteinander verheiratet. Im November 2012 wurde deren Sohn, N. L., geboren. Die Eltern streiten über das Sorgerecht.Die Mutter hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Vater hatte dem zugestimmt. Das Kind lebt bei seiner Mutter und deren Ehemann. Die Mutter forderte das alleinige Sorgerecht und meint, die vom Vater erteilte Vollmacht zur Ausübung des Sorgerechts reiche nicht aus. Der Vater meint, dass es einer Übertragung des Sorgerechts nicht bedürfe. Und zwar wegen der im Vorverfahren erteilten Vollmacht, jedenfalls aber wegen einer weiteren, während des vorliegenden Verfahrens notariell beurkundeten Vollmacht vom 22. November 2017.
Die Vorinstanzen
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Die Vorinstanzen waren bei der Beantwortung dieser Frage unterschiedlicher Auffassung. Das Amtsgericht hat das Sorgerecht antragsgemäß der Kindesmutter übertragen. Das Oberlandesgericht den Antrag der Kindesmutter auf die Beschwerde des Kindesvaters hin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Kindesmutter, mit der sie ihren Antrag weiterverfolgt.
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Dazu das OLG Frankfurt und der BGH:
OLG Frankfurt:
Die Entscheidung
Die Klage wurde vom OLG Frankfurt abgewiesen.
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Vollmacht grundsätzlich ausreichend
Unter Hinweis auf das grundgesetzlich geschützte elterliche Sorgerecht besteht nach Ansicht des Oberlandesgerichts kein Grund für die Übertragung des Sorgerechts auf nur einen Elternteil. Vor diesem Hintergrund sei die Vollmacht des biologischen Vaters ausreichend. Anhaltspunkte dafür, dass der Vater diese widerruft, würden auch nicht bestehen.
Vollmacht als milderes Mittel
Zwischen den Eltern bestehe zwar ein massiver Kommunikationskonflikt, der gemeinsame Entscheidungen kaum möglich mache. Dieser gehe aber nicht soweit, dass die Eltern Entscheidungen träfen, die etwa das Kindeswohl beeinträchtigten, womit er als Grund für eine Übertragung des Sorgerechts ausscheiden würde. Auch ließe der Vater die Mutter bei der Erziehung des gemeinsamen Sohnes gewähren und ziehe das Handeln der Mutter nicht offen in Zweifel oder hintertreibe es sogar. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts sei im vorliegenden Fall wegen der bestehenden Vollmachten nicht möglich. Gegenüber einer Übertragung des Sorgerechts würden die erteilten Vollmachten daher das mildere Mittel darstellen, um die Handlungsfähigkeit der Mutter zum Wohl des Kindes sicherzustellen.
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Dazu der BGH:
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat dann auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hin am 29.04.2020, Az. XII ZB 112/19, den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27.02.2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben. Und zwar werde eine Übertragung der alleinigen vollständigen elterlichen Sorge auf die Kindesmutter auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht durch die erteilten bestehenden Vollmachten entbehrlich gemacht.
Kann Bevollmächtigung Übertragung des Sorgerechts entbehrlich machen?
Kein alleiniges Sorgerecht bei bestehender Vollmacht? Und zwar könne die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen kann eine Übertragung des Sorgerechts nach § 1671 BGB ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt, so der BGH. Das setze allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus. Und zwar, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist. Aus einer unterlassenen Mitwirkung des Kindesvaters ergebe sich jedenfalls dessen mangelnde Kooperationsbereitschaft, was nach den einschlägigen Maßstäben dem Fortbestand der elterlichen Sorge trotz Vollmachterteilung entgegenstehe.
Zurückverweisung
Die Sache sei an das OLG Frankfurt zurückzuverweisen. Und zwar seien zur Beantwortung der Frage, ob eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Kindesmutter bei bestehender Vollmacht im vorliegenden Fall Betracht kommt, noch weitere tatsächliche Feststellungen notwendig. Das Oberlandesgericht werde insbesondere die bislang unterbliebene persönliche Anhörung der Eltern nachzuholen haben. Im Hinblick auf die Erziehungseignung der Kindesmutter sei bislang noch nicht gewürdigt worden, dass diese offensichtlich nicht bereit ist, das Kind über die Vaterschaft des Antragsgegners aufzuklären.
Quellen dazu wie folgt: Pressemitteilung des DAV FamR 19/2019 v. 14.10.2019 und Juris das Rechtsportal
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Dazu siehe auch:
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