Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl. Am 12.06.2019 hat das OLG Brandenburg, Az. 10 UF 88/16, dazu entschieden. Das OLG hat sich mit der Frage befasst, wann die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht.
Was ist passiert?
Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl – Die dauernd voneinander getrennt lebenden Eltern waren nicht miteinander verheiratet. Die Mutter hatte das alleinige Sorgerecht und zog im November 2013 ohne vorherige Ankündigung mit ihrer Tochter in den Iran. Das Familiengericht entzog ihr daraufhin zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter und später auch die gesamte elterliche Sorge. Das Jugendamt bekam die Vormundschaft über das Kind übertragen. Die Mutter kehrte im Dezember 2014 mit ihrer Tochter aus dem Iran zurück. Der Vater beantragte die Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn, weil dies dem Wohl des Kindes am besten entspreche.
Das Familiengericht entzog der Mutter das Sorgerecht und übertrug es dem Vater zur alleinigen Ausübung.
Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl – Was sagt das OLG Brandenburg dazu?
Die Beschwerde der Mutter gegen die Entscheidung des Familiengerichts hat das OLG Brandenburg zurückgewiesen und führte zu seiner Entscheidung folgendes aus:
Wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und die elterliche Sorge nach § 1626 a BGB der Mutter zusteht, so kann der Vater beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt, § 1671 Abs. 2 S. 1 BGB.
Kriterien einer Kindeswohlprüfung:
Wenn ein Elternteil den Entzug des alleinigen Sorgerechts und die Übertragung auf sich beantrage, werde eine sog. doppelte Kindeswohlprüfung wie folgt durchgeführt:
Zunächst sei die Sinnhaftigkeit eines gemeinsamen Sorgerechts zu prüfen.
Das gemeinsame Sorgerecht setze ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge voraus. Und ebenso eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Wegen des im vorliegenden Fall bestehenden anhaltenden und tiefgreifenden Konflikts zwischen den Eltern, scheide das gemeinsame Sorgerecht aus.
Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl.
Sodann sei nach folgenden Kriterien zu prüfen, ob die Übertragung des Sorgerechts auf den anderen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspreche, wobei es nicht darauf ankomme, ob derjenige besser in der Lage sei, die Entwicklung und Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gewährleisten:
- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstelle sowie
- die Bindungen des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister,
- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage sei,
- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung.
Jedes Kriterium könne im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Kindeswohl entspreche. Insoweit stünden die Kriterien nicht kumulativ nebeneinander.
Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl – Anwendung der Kriterien auf den vorliegenden Fall und Entscheidung danach:
Insbesondere vor dem Hintergrund des Förderungsgrundsatzes sowie der Kontinuität war der Vater für das Gericht besser geeignet als die Mutter. Nach der Rückkehr aus dem Iran hätte die Mutter hatte die Tochter fremd untergebracht, weshalb die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater hier habe vorgenommen werden dürfen.
Quellen: Pressemitteilung des DAV FamR Nr. 11/2019 v. 12.06.2019 und Juris das Rechtsportal
Alleiniges Sorgerecht und Kindeswohl.
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