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Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung? Dazu hat das BAG am 7.2.2024, 5 AZR 177/23, entschieden. Und zwar könne im Rahmen einer Gesamtabwägung zur Beurteilung der Böswilligkeit i.S.d. § 11 Nr 2 KSchG auch eine Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten zu berücksichtigen sein, so das BAG. Dies gelte unter anderem bei einer Verletzung der in § 38 Abs 1 SGB 3 geregelten Pflicht, sich arbeitssuchend zu melden, sowie bei Missachtung der aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs 5 SGB 3. Auch seien bei einer Gesamtabwägung zur Beurteilung der Böswilligkeit Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit zu seinen Lasten zu berücksichtigen, mit denen er eine Vorgehensweise ankündigt, mit der er von vornherein verhindern wollte und konnte, dass seine Bewerbung in die engere Wahl kommen könnte und die zur Folge haben, dass ihm keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden, so das BAG.  

Was ist passiert?

Der Sachverhalt

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung?  Dazu hatte das BAG über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Was hat sich ereignet?

Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber am 23.11.2017 außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wurde erstinstanzlich abgewiesen. In der Berufungsinstanz wurde die Kündigung für unwirksam erklärt und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers stattgegeben.

Der Kläger teilte der Arbeitsagentur mit, dass er die Kündigung erhalten hat. Aufgrund der außerordentlichen Kündigung verhängte die Arbeitsagentur eine Sperrzeit. Danach erhielt der Kläger bis zum 25.01.2019 Arbeitslosengeld I.

Die Arbeitsagentur unterbreitete dem Kläger keine Stellenangebote, denn dies war von ihm nicht gewünscht und er hatte mitgeteilt, dass er sich bewerben würde, wenn man ihn dazu zwinge. Einem potenziellen Arbeitgeber werde er noch vor dem Bewerbungsgespräch mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem ehemaligen Arbeitgeber laufe und er dort unbedingt weiterarbeiten wolle. Weitere eigenständige Bemühungen um anderweitige Beschäftigung unternahm der Kläger in dem Zeitraum nicht. Die Beklagte hat ihm ebenfalls keine Stellenangebote übermittelt, auf die er sich hätte bewerben und zumutbaren Verdienst erzielen können.

Der Kläger

Der Kläger forderte nun von der Beklagten die Vergütung des ihm nicht ausgezahlten Lohns während des anhängigen Kündigungsschutzverfahrens aufgrund Annahmeverzugs des Arbeitgebers.

Mit seiner Klage hat der Kläger Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei nicht verpflichtet gewesen, sich um einen anderen Dauerarbeitsplatz zu bemühen. Indem er sich arbeitsuchend gemeldet habe, sei er seinen sozialrechtlichen Handlungspflichten nachgekommen. Weitere Bemühungen habe er nicht entfalten müssen, weil die Agentur für Arbeit dies nicht verlangt habe. Während des Bezugs von Arbeitslosengeld II habe er die Weisungen des Jobcenters und dessen Vermittlungsangebote beachtet. Zudem habe er sich dann initiativ um andere Arbeitsplätze beworben und andere Arbeit tatsächlich angenommen.

Die Beklagte

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung? Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe es böswillig unterlassen einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Dazu enthält § 11 KschG folgende Regelung:

„§ 11 Anrechnung auf entgangenen Zwischenverdienst

Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muß sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,

  1. was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
  2. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen,

…“

Die Vorinstanzen

Das Arbeitsgericht hatte der Klage für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 30. August 2020 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten – das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage auch für den Zeitraum von Januar 2018 bis März 2019 stattgegeben. Mit der vom Senat nachträglich zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr Begehren, die Klage insgesamt abzuweisen, weiter.

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung?  Dazu das BAG:

Die Entscheidung

Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 29. Dezember 2022 – 3 Sa 100/21 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Ist das „böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes“ bei Erfüllung sozialrechtlicher Handlungspflichten ausgeschlossen?

Das BAG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass der Kläger mit der Arbeitssuchendmeldung zwar seinen sozialrechtlichen Handlungspflichten nachgekommen sei. Das „böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes“ könne dadurch aber nicht ausgeschlossen werden. Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung?  Das LAG habe bei der Beurteilung der Böswilligkeit nicht alle wesentlichen Umstände in der Gesamtabwägung gewürdigt.

Nach der Rechtsprechung des BAG unterlässt ein Arbeitnehmer böswillig i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.

Der Arbeitgeber habe grundsätzlich konkrete, zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten nachzuweisen. Der Arbeitnehmer trage dann allerdings die Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre.

Arbeitnehmer hat verhindert, dass die Agentur für Arbeit ihm Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich angeboten hat

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung? Das besondere sei allerdings im vorliegenden Fall, dass der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitsagentur verhindert hat, dass ihm Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich angeboten wurden und er Angaben zu Bewerbung und Bewerbungsverfahren auf solche Stellen machen konnte, so das BAG.

Insoweit werde der Arbeitnehmer nicht dadurch entlastet, dass die Agentur für Arbeit ihrem Vermittlungsauftrag nicht nachgekommen ist. Dies sei nämlich eher darauf zurückzuführen, dass der Kläger gegenüber der Agentur für Arbeit mitgeteilt hat, er werde einem potenziellen Arbeitgeber bei Bewerbungen mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle.

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung? Bei der Gesamtabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen

Bei der Gesamtabwägung der jeweiligen Interessen sei dies zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Und zwar habe er es damit darauf angelegt, dass ihm zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten gar nicht erst angeboten worden sind, so das BAG. Es hätte vor allem nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der Agentur für Arbeit die Ursache dafür gesetzt hat, dass ihm von dieser über ein Jahr lang (von Ende 2017 bis Januar 2019) keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden.

Landesarbeitsgericht muss erneut Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Auffassung des BAG vornehmen

Und zwar habe das Landesarbeitsgericht durch eine andere Kammer erneut über die Sache zu entscheiden, da es diese Aspekte bei der Gesamtwürdigung nicht angemessen berücksichtigt hat.

Böswilliges Unterlassen bei Vermittlungsverhinderung? Insbesondere werde das Landesarbeitsgericht wird im fortgesetzten Berufungsverfahren im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung prüfen müssen, ob das Verhalten des Klägers ein böswilliges Unterlassen iSd. § 11 Nr. 2 KSchG darstellte. Und zwar werde es hierbei zu berücksichtigen haben, dass der Kläger sich zwar formal ordnungsgemäß bei der Agentur für Arbeit gemeldet, zugleich aber mit seinem übrigen Verhalten tatsächliche Vermittlungsbemühungen verhindert hat. Um anderweitige Stellen beworben habe er sich erst mehr als ein Jahr später. Sobald er dies getan habe, sei es ihm gelungen, eine anderweitige Verdienstmöglichkeit zu finden. Das könnte dafür sprechen, dass die in dieser Zeit unternommenen Bemühungen ausreichend waren. Umgekehrt könnte dies aber auch ein Anhaltspunkt dafür sein, dass es ihm möglich gewesen wäre, eine entsprechende Stelle bereits früher zu finden, so das BAG.

Quelle: Juris das Rechtsportal

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Rolf Heinemann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

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