Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Dazu hat das BAG am 19.02.2019, 9 AZR 423/16, in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel am Ende des Kalenderjahres nicht automatisch erlischt. Der Anspruch erlösche vielmehr nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt haben und der Arbeitnehmer aus freien Stücken den Urlaub dennoch nicht genommen haben.
Was ist passiert?
Der Sachverhalt
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Zu dieser Frage hatte das BAG über folghenden Sachverhalt zu entscheiden:
Vom 01.08.2001 bis zum 31.12.2013 beschäftigte der beklagte Arbeitgeber den klagenden Arbeitnehmer als Wissenschaftler. Der klagende Arbeitnehmer verlangte vom beklagten Arbeitgerber nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Erfolg, nicht genommenen Urlaub abzugelten. Dies betraf den von ihm aus den Jahren 2012 und 2013 nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen. Für diesen Urlaub begehrte der Kläger Abgeltung mit einem Bruttobetrag i.H.v. 11.979,26 Euro. Während des Arbeitsverhältnisses hatte er keinen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs gestellt.
Die Vorinstanz
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Das Landesarbeitsgericht München, Urt. v. 06.05.2015 – 8 Sa 982/14 -, hatte angenommen, dass der Urlaubsanspruch des klagenden Arbeitnehmers sei zwar zum Jahresende verfallen. Jedoch habe der klagende Arbeitnehmer Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub verlangen können. Der Beklagte sei nämlich seiner Verpflichtung, ihm von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren, nicht nachgekommen. Und zwar sei der Ersatzurlaubsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten.
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Dazu das BAG:
Vor dem BAG hatte die Revision des beklagten Arbeitgebers Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das LArbG.
Nationales Gesetz und Rechtsprechung
§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sehe vor, dass Urlaub verfällt, wenn er nicht bis zum Jahresende gewährt und genommen wird, so das BAG. Nach bisheriger Rechtsprechung habe dies selbst für den Fall gegolten, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren. Unter bestimmten Voraussetzungen habe der Arbeitnehmer allerdings Schadensersatz verlangen können. Dieser Schadensersatz war während des Arbeitsverhältnisses auf Gewährung von Ersatzurlaub und nach dessen Beendigung auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage gerichtet. Das BAG habe diese Rechtsprechung weiterentwickelt und damit die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 06.11.2018 – C-684/16 – umgesetzt.
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Unionsrecht – Richtlinienkonforme Auslegung
Dem Arbeitgeber sei es nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Die Vorschrift zwinge den Arbeitgeber damit zwar nicht, entgegen der Annahme des LArbG, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG – Arbeitzeitrichtlinie – obliege ihm allerdings die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Arbeitgeber sei nach der Rechtsprechung des EuGH gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Und zwar indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun. Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen werde, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nehme, so das BAG.
Transparenz
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Daher könne bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG der Verfall von Urlaub in der Regel nur wie folgt eintreten: Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlösche. Nach der Zurückverweisung der Sache werde das LArbGaufzuklären haben, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen sei.
Konkretes Beispiel des BAG
Und zwar könne zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten unter Bezugnahme auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres und zur Erfüllung der Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ eine entsprechende Mitteilung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer nach Darstellung des BAG beispielsweise wie folgt aussehen:
„Der Arbeitgeber könne seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem
Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen.“
Urlaubanspruch am Ende eines Jahres automatisch weg? Was ist mit kumulierten Urlaubsansprüchen aus zurückliegenden Urlausjahren?
Und zwar könne der Arbeitgeber das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nehme der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfalle der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums.
Zurückverweisung an das LArbG
Das Landesarbeitsgericht werde, nachdem es den Parteien rechtliches Gehör gewährt habe, sowohl die E-Mail vom 16. Mai 2013 als auch das Schreiben des Beklagten vom 23. Oktober 2013 im Hinblick darauf zu würdigen haben, so das BAG. Und zwar, ob diese unter Berücksichtigung der Begleitumstände den oben beschriebenen Anforderungen genügen.
Quellen: Pressemitteilung des BAG Nr. 9/2019 v. 19.02.2019 und Entscheidung des BAG vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15, https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2021/01/9-AZR-541-15.pdf, und Juris das Rechtsportal
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Siehe auch:
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