Widerruf Verbraucherkreditvertrag wegen Kaskadenverweisung? Dazu hat der EuGH am 26.03.2020, Az. C-66/19, entschieden. Es reiche bei Verbraucherkreditverträgen für den Beginn der Widerrufsfrist nicht aus, wenn der Darlehensvertrag zu den Pflichtangaben auf eine nationale Vorschrift verweist, welche selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist, so der EuGH. Die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist müssten Verbraucherkreditverträge vielmehr in klarer und prägnanter Form angeben.
Der Fall:
Ein Verbraucher nahm im Jahr 2012 bei einem Kreditinstitut in Saarlouis (nachfolgend Kreditinstitut genannt) ein Darlehen über 100.000 Euro auf. Und zwar mit einem bis zum 30.11.2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61% pro Jahr. Weiterhin wurde für das Darlehen eine Grundschuld als Sicherheit bestellt. In dem Verbraucherkrdeitvertrag ist geregelt, dass der Darlehensnehmer den Widerruf zu seiner Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ausüben kann und diese Frist nach Abschluss des Vertrags zu laufen beginnt. Dies unter der Bedingung, dass der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach einer bestimmten Regelung im BGB erhalten hat. Zu den Pflichtangaben verweist der Darlehensvertrag in einer Kaskadenverweisung auf eine deutsche Rechtsvorschrift, die selbst auf weitere deutsche Rechtsvorschrift verweist.
Der Verbraucher erklärte gegenüber dem Kreditinstitut den Widerruf seiner Vertragserklärung zum Abschluss des Verbraucherkreditvertrages.
Das Kreditinstitut ist der Auffassung, dass die streitbefangene Belehrung über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß sei. Deshalb sei die Frist für die Ausübung dieses Rechts bereits abgelaufen gewesen.
Widerruf Verbraucherkreditvertrag wegen Kaskadenverweisung? Das vom Verbraucher angerufene LG Saarbrücken hat nunmehr den EuGH um Auslegung der nachfolgend bezeichneten Richtlinie über Verbraucherkreditverträge ersucht (RL 2008/48/EG – ABl. 2008, L 133, 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, 14, ABl. 2010, L 199, 40 und ABl. 2011, L 234, 46).
Insbesondere fragt sich das Landgericht, ob eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht vorliegt. Zwar sehe die betreffende Richtlinie vor, dass sie nicht für grundpfandrechtlich gesicherte Kreditverträge wie den streitbefangenen gelte. Jedoch habe der deutsche Gesetzgeber auch derartige Verträge in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen. Weil es um eine einheitliche Auslegung der deutschen Rechtsvorschriften gehe, hält sich der EuGH zur Entscheidung berufen.
Widerruf Verbraucherkreditvertrag wegen Kaskadenverweisung? Dazu der EuGH:
Nach Ansicht des EuGH müssten Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben.
Es stehe im Widerspruch zur Richtlinie, dass ein Verbraucherdarlehensvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, auf eine nationale Vorschrift verweise und diese wiederum auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates verweise.
Der Verbraucher könne nämlich zum einen im Fall einer solchen Kaskadenverweisung in seinem Verbraucherkreditvertrag nicht den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen. Zum anderen könne er nicht überprüfen, ob alle erforderlichen Angaben in dem von ihm abgeschlossenen Vertrag enthalten seien. Außerdem könne er nicht überprüfen, ob die Frist für den Widerruf, über die er verfügen könne, für ihn zu laufen begonnen habe.
Der im streitbefangenen Vertrag enthaltene Verweis auf die deutschen Rechtsvorschriften, so der EuGH, genüge nicht dem Erfordernis einer klaren und prägnanten Information des Verbrauchers. Und zwar hinsichtlich der Frist und zu anderen Modalitäten für die Ausübung des Rechts zum Widerruf.
Was lernen wir daraus?
Widerruf Verbraucherkreditvertrag wegen Kaskadenverweisung?
Bei Darlehensverträgen, die dem gesetzlich vorgegebenen Muster entsprechen und die somit den Musterschutz geniessen bzw. der Gesetzlichkeitsfiktion unterliegen, dürfte es eher schwierig sein, sich erfolgversprechend auf das „ewige“ Widerrufsrecht zu berufen, weil der Gesetzgeber die Musterwiderrufsinformation Gesetzesrang zugewiesen hat (§ 12 Abs. 1 Satz 2 zur Art. 247 EGBGB).
Sofern die Widerrufsbelehrung/Widerrufsinformation eines Darlehensvertrages aber vom gesetzlichen Muster (aktuell: Muster für eine Widerrufsinformation für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge siehe https://www.gesetze-im-internet.de/bgbeg/art_253anlage_7.html) abweicht und der Verwender Veränderungen im Sinne einer inhaltlichen Bearbeitung vorgenommen hat, bestehen grundsätzlich bessere Aussichten, solche Verträge wegen der vom EuGH bemängelten Kaskadenverweisung wirksam widerrufen zu können.
Quellen: Pressemitteilung des EuGH Nr. 36/2020 v. 26.03.2020 und Juris das Rechtsportal
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Dazu siehe auch:
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