Ewiges Widerrufsrecht bei Kaskadenverweis in Verbraucherdarlehensvertrag? Dazu hat das Kammergericht Berlin am 23.05.2024, 8 U 112/22, entschieden. Und zwar könne die Bank bei fehlerhafter Widerrufsinformation, die den sog. Kaskadenverweis zum Beginn der Widerrufsfrist enthält, im entschiedenen Fall nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben.
Was ist passiert?
Der Sachverhalt
Ewiges Widerrufsrecht bei Kaskadenverweis in Verbraucherdarlehensvertrag? Diese Frage stellte sich für das Kammergericht Berlin in dem am 23.05.2024, 8 U 112/24, entschiedenen Fall.
In dem entschiedenen Fall ging es um die Abwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrages zwischen dem Kläger und der beklagten Bank und den Widerruf der auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung des Klägers. Und zwar rügt der der Kläger, dass die Widerrufsinformation hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist (sog. Kaskadenverweis) unvollständig bzw. fehlerhaft sei. Dagegen beruft sich die beklagte Bank im vorliegenden Fall darauf, dass die Geltendmachung eines fehlenden Musterschutzes rechtsmissbräuchlich sei.
Und zwar hatte die Beklagte in der Widerrufsinformation bei der Unterüberschrift „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag einen Vertrag über eine Restschuldversicherung angegeben, obwohl die Kläger einen solchen nicht abgeschlossen hatten. Deshalb hatte die beklagte Bank die Musterbelehrung hinsichtlich verbundener Verträge unzutreffend ausgefüllt und damit nicht wie für den betreffenden Vertrag vorgegeben verwendet.
Ewiges Widerrufsrecht bei Kaskadenverweis in Verbraucherdarlehensvertrag? Dazu das KG Berlin:
Die Entscheidung
Das KG gab der Klage teilweise statt und ließ die Revision zum BGH nicht zu.
Die Begründung
Keine Berufung auf den Musterschutz wegen unzutreffenden Ausfüllens des Musters
Musterschutz bei richtig ausgefülltem Muster und Verwendung wie für den betreffenden Vertrag vorgegeben
Die beklagte Bank könne sich zunächst nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion bzw. den Musterschutz berufen (Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB; BGH, Urteil vom 28. Juli 2020 – XI ZR 288/19, WM 2020, 1627 Rn. 17 ff. und Beschluss vom 31. März 2020 – XI ZR 198/19, WM 2020, 838 Rn. 6 ff.). Dies setze voraus, dass die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB entspricht. Die Gesetzlichkeitsfiktion solle nur eintreten, wenn der Darlehensgeber das Muster richtig ausfüllt und wie für den betreffenden Vertrag vorgegeben verwendet (vgl. BT-Drucks. 17/1394, S. 22, linke Spalte; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19, BKR 2021, 100). Dies sei hier nicht der Fall.
Und zwar habe der Darlehensgeber nach dem Wortlaut des Gestaltungshinweises 2a zu dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB nur den von dem Darlehensnehmer konkret abgeschlossenen, mit dem Darlehensvertrag verbundenen weiteren Vertrag anzugeben. Dies entspreche auch dem sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Willen des Gesetzgebers, wonach „an der gekennzeichneten Einfügestelle der verbundene Vertrag im Mustertext hinreichend konkret anzugeben“ sei (BT-Drucks. 17/1394, S. 27, linke Spalte) und „die Gestaltungshinweise stets an den jeweiligen Einzelfall angepasst werden“ müssten (vgl. BT-Drucks. 17/1394, S. 30, linke Spalte; siehe hierzu BGH, Urteile vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19, BKR 2021, 100 und vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 52).
Musterbelehrung hinsichtlich verbundener Verträge unzutreffend ausgefüllt
Die beklagte Bank hätte dem im vorliegenden Fall nicht Genüge getan. Und zwar habe die Beklagte in der Widerrufsinformation bei der Unterüberschrift „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag einen Vertrag über eine Restschuldversicherung angegeben, obwohl die Kläger einen solchen nicht abgeschlossen haben. Dadurch hätte die beklagte Bank die Musterbelehrung hinsichtlich verbundener Verträge unzutreffend ausgefüllt und damit nicht wie für den betreffenden Vertrag vorgegeben verwendet.
Kein Anlaufen der Widerrufsfrist wegen Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation
Die den Klägern erteilte Widerrufsinformation sei fehlerhaft, so das KG.
Infolge des fehlenden Musterschutzes führt dann der Kaskadenverweis dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann.
Verweisung nicht klar und verständlich
Und zwar sei die in der Widerrufsinformation enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB“ nicht klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist (EuGH, Urteil vom 26. März 2020 – C-66/19, WM 2020, 688 – Kreissparkasse Saarlouis; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19, BKR 2021, 100).
So habe der EuGH entschieden, dass sich der Kreditgeber nicht mit Erfolg darauf berufen kann, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht aufgrund seines Verhaltens zwischen Vertragsschluss und Ausübung des Widerrufsrechts oder nach dessen Ausübung missbräuchlich ausgeübt habe, wenn wegen einer gegen Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48 verstoßenden unvollständigen oder fehlerhaften Information im Kreditvertrag die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hat. (EuGH mit Urteil vom 21.12.2023 – C-38/21, C-47/21 und C-232/21 –, WM 2024, 249)
Und zwar stehe infolge dessen fest, dass sich diese Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie 2008/48 einzuschätzen. Außerdem habe sie sich auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, ausgewirkt.
Der Verweis in der Widerrufsinformation zur Widerrufsfrist auf § 492 Abs. 2 BGB, der seinerseits auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB verweise, worin wiederum auf weitere Bestimmungen des BGB verwiesen werde, sei nicht genügend. Und zwar sei der Verbraucher in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Dies ergebe sich aus Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/
Verbraucher kann nicht überprüfen
Und zwar könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags zum einen nicht den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen. Zum anderen könne er nicht überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält. Und zwar könne der Verbraucher erst recht nicht überprüfen, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat. (EuGH, Urteil vom 26. März 2020 – C-66/19 –, Rn. 44ff in juris).
Keine Berufung auf Rechtsmissbräuchlichkeit
Ewiges Widerrufsrecht bei Kaskadenverweis in Verbraucherdarlehensvertrag? Die beklagte Bank könne sich insoweit hier nicht darauf berufen, dass die Kläger rechtsmissbräuchlich geltend machen, dass die Widerrufsinformation Angaben zu einem Restkreditversicherungsvertrag als verbundenen Vertrag enthält, obgleich ein Restkreditversicherungsvertrag nicht geschlossen wurde. Die Unvollständigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist habe sich auf die Befähigung der Kläger, den Umfang ihrer aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, ausgewirkt. Und sie habe den klagenden Verbrauchern die Möglichkeit genommen, ihre Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre. Daher sei der beklagten Bank nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH die Berufung auf eine missbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts seitens der Kläger verwehrt.
Was lernen wir daraus?
Es bleibt dabei, das alleine der Kaskadenverweis nicht durchgreift, solange die Gesetzlichkeitsfiktion besteht. Die Gesetzlichkeitsfiktion tritt grundsätzlich nur ein, wenn der Darlehensgeber das Muster richtig ausfüllt und wie für den betreffenden Vertrag vorgegeben verwendet. Erst wenn dies nicht der Fall ist und damit der Musterschutz entfällt, schlägt die Rechtsprechung des EuGH durch, wonach die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB“ nicht klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist. Erst dann ist eine Berufung auf die Rechtswidrigkeit der Widerrufsinformation möglich. Erst dann beginnt damit die Widerrufsfrist nicht zu laufen.
Quellen:
Juris das Rechtsportal, 8 U 112/22 | KG Berlin 8. Zivilsenat | Urteil | ls:Der Bank ist es, wenn der Darlehensnehmer seine auf den Abschluss eines …; Urteile bei Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht, https://www.bankundkapitalmarkt.de/de/mitgliederbereich/urteile/kg-berlin-v-23-5-2024-8-u-112-22-verbraucherdarlehensvertrag-widerrufsrecht-und-kaskadenverweis
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Siehe auch:
Kursänderung des BGH bei Kaskadenverweisung
Widerruf Verbraucherkreditvertrag wegen Kaskadenverweisung?
Widerrufsbelehrung in S – Immobiliendarlehensvertrag wirksam?
Widerrufsbelehrung zu Darlehensvertrag einer Sparkasse rechtmäßig
Widerrufsinformation der Sparkasse ist rechtmäßig
Widerruf Darlehensvertrag bei nicht ordnungsgemäßen Pflichtangaben?
Wann ist das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen verwirkt?
Widerruf des Bürgschaftsvertrags durch Bürgen möglich?
Hat Leistungsklage bei Darlehenswiderruf Vorrang?
Widerruf von Fernabsatzvertrag ohne Rücksicht auf Beweggründe?
EuGH zum Widerruf von Verbraucherkreditverträgen
Widerrufsbelehrung undeutlich wegen AGB Klausel?
Hat Leistungsklage bei Darlehenswiderruf Vorrang?
Widerruf Àutodarlehensvertrag wirksam bei Kaskadenverweisung?
Widerruf des Beitritts zu Investmentfonds Jahre später?
Kein Nutzungsersatz nach Widerruf von „Fernabsatz -Darlehen“?
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwalt Rolf Heinemann: Ewiges Widerrufsrecht bei Kaskadenverweis in Verbraucherdarlehensvertrag? Dazu hat das Kammergericht Berlin am 23.05.2024, 8 U 112/22, entschieden. Fragen Sie den Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in unserer Kanzlei