Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Dazu hat das LAG Berlin-Brandenburg am 06.08.2009, 5 Sa 719/09, entschieden. Und zwar habe eine Auszubildende zur Altenpflegerin auch bei Vorliegen der nachfolgenden Punkte einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung.
Und zwar wenn es zum einen in ihrem Ausbildungsvertrag heißt: „Die Schülerin/der Schüler erhält vom Träger der praktischen Ausbildung für die gesamte Dauer der Ausbildung eine monatliche Ausbildungsvergütung. Es wird kein Entgelt gezahlt, da die Ausbildung BAföG-finanziert ist.“
Und wenn sie zum anderen während der vom 11. Oktober 2005 bis 10. Oktober 2008 andauernden Ausbildung bei der Beklagten zumindest teilweise Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezogen habe.
Was ist passiert?
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug?
Der Sachverhalt
Die Beklagte hatte der Klägerin unter Berufung auf die vorstehend zitierte Regelung im Ausbildungsvertrag während der gesamten Ausbildungszeit überhaupt keine Vergütung gezahlt.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Der Vortrag der Klägerin
Dagegen wandte sich die Klägerin und machte eine angemessene Ausbildungsvergütung für die gesamte Ausbildungszeit geltend. Sie war der Auffassung, dass die eingangs genannte Regelung im Ausbildungsvertrag sowohl der alten als auch der neuen Fassung des § 17 Abs. 1 Altenpflegegesetz (AltPflG) widerspreche und damit unwirksam sei. BAföG-Leistungen könnten nicht als “andere vergleichbare Geldleistung aus öffentlichen Haushalten” im Sinne der Vorschrift verstanden werden. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt, weil die Parteien bei Vertragsschluss nicht gewusst hätten, ob die Klägerin tatsächlich BAföG-Leistungen erhalten werde. Der entsprechende Satz im Ausbildungsvertrag sei von der Beklagten vorgegeben gewesen.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Einwände der Beklagten
Die Beklagte meinte hingegen, dass die Regelung im Ausbildungsvertrag wirksam sei und nicht gegen § 17 AltPflG verstoße. Der BAföG-Anspruch sei eine vergleichbare Geldleistung aus öffentlichen Haushalten. Die Klägerin habe BAföG-Leistungen bezogen. Das schließe einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung aus. Angesichts der Finanzierung des Ausbildungsplatzes durch öffentliche Gelder zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze müssten die Ausbildungssätze, sofern sie überhaupt anzuwenden seien, um 50 % reduziert werden. Schließlich seien die Ansprüche verwirkt. Und zwar, weil die Klägerin im Ausbildungsvertrag ausdrücklich angegeben und durch Unterzeichnung anerkannt habe, dass die Ausbildung durch BAföG-Leistungen finanziert werde.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Dazu das LAG Berlin-Brandenburg:
Die Entscheidung
Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht habe zu Recht erkannt, dass der Klägerin Ansprüche auf Ausbildungsvergütung in der geltend gemachten Höhe zustehen, so das LAG.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Nichtigkeit § 22 AltPflG a. F.
Nach § 17 AltPflG a.F. habe der Träger der praktischen Ausbildung der Schülerin oder dem Schüler für die gesamte Dauer der Ausbildung eine angemessene Vergütung zu zahlen. Und zwar, soweit nicht Ansprüche auf Unterhaltsgeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder Übergangsgeld nach den für die berufliche Rehabilitation geltenden Vorschriften bestehen. Oder aber, soweit nicht andere vergleichbare Geldleistungen aus öffentlichen Haushalten gewährt werden. Nach § 22 AltPflG a. F. sei eine Vereinbarung nichtig, die zuungunsten der Schülerin oder des Schülers von den Vorschriften des Abschnitts 4 dieses Gesetzes abweicht.
§ 6 des Ausbildungsvertrages der Parteien weiche zu Ungunsten der Klägerin von dem in Abschnitt 4 des Gesetzes enthaltenen § 17 Abs. 1 AltPflG a. F. ab. Und zwar mit der darin getroffenen Vereinbarung, dass entgegen der in Satz 1 enthaltenen Zusage einer monatlichen Ausbildungsvergütung nach Satz 2 kein Entgelt gezahlt wird, da „die Ausbildung BAföG-finanziert ist“. Die von der Klägerin im Übrigen erst ab Oktober 2006 bezogenen Leistungen nach dem BAföG könnten den Wegfall einer angemessenen entgeltlichen Ausbildungsvergütung nicht begründen. Insbesondere deswegen nicht, weil es sich nicht um Leistungen gehandelt habe, die nach § 17 Abs. 1 AltPflG a. F. diesen Wegfall begründen könnten.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Inhaltskontrolle nicht mehr erheblich
Die zwischen den Parteien streitige Vereinbarung sei bereits nach § 22 AltPflG a. F. nichtig. Deshalb sei es auf eine vertragliche Inhaltskontrolle nach § 305 ff. BGB nicht mehr angekommen. Angesichts dessen habe es auch keiner gerichtlichen Klärung mehr bedurft, ob es sich um eine sittenwidrige Vereinbarung oder gar Lohnwucher handelte.
Es sei deshalb bei der Vereinbarung in § 6 Ziffer 1 Satz 1 des Ausbildungsvertrages verblieben. Danach sollte die Klägerin eine monatliche Ausbildungsvergütung erhalten. Die Parteien hätten in dem Ausbildungsvertrag selbst keine Vereinbarung über die Höhe der Ausbildungsvergütung getroffen. Deshalb sei für deren Bestimmung die nach § 22 AltPflG a. F. unabdingbare Regelung im ersten Halbsatz von § 17 Abs. 1 AltpflG a. F. heranzuziehen gewesen. Danach habe der Träger der praktischen Ausbildung der Schülerin und dem Schüler für die gesamte Dauer der Ausbildung eine „angemessene“ Ausbildungsvergütung zu zahlen. Die von der Klägerin verlangte Vergütung von 729,00 € im 1., 788,00 € im 2. und 884,00 € im 3. Ausbildungsjahr ist als angemessen anzusehen. Und zwar im Sinne von § 17 Abs. 1 AltpflG a. F..
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Anwendung der Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG a. F.
Für die Feststellung, welche Vergütung als abgemessen anzusehen ist, seien die vom Bundesarbeitsgericht zur Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen gewesen. Und zwar die Grundsätze im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG a. F.. Diese vom Bundesarbeitsgericht zu § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG a. F. entwickelten Grundsätze seien auf § 17 Abs. 1 AltPflG a. F. übertragbar. Und zwar auch, wenn § 28 AltPflG a. F. bestimme, dass für die Ausbildung zu den im AltPflG a. F. geregelten Berufen das BBiG keine Anwendung findet. Wortlaut und Zweck beider Normen sowie die Entstehungsgeschichte von § 17 Abs. 1 AltPflG a. F. würden dies stützen.
Danach sei im vorliegenden Fall zunächst festzustellen gewesen, dass eine Tarifbindung nicht vorlag. Und die Parteien hätten eine Vereinbarung zur Höhe der Ausbildungsvergütung nicht getroffen. Und zwar eine Vereinbarung zur Höhe der Ausbildungsvergütung mit einer Zusage zum Erhalt der Klägerin für die gesamte Dauer der Ausbildung.
Die Vergütungszahlung während der gesamten Ausbildungszeit der Klägerin sei unterblieben und eine Vereinbarung zur Vergütungshöhe im Ausbildungsvertrag hätten gefehlt. Allein schon dies habe ohne weiteres zur Feststellung einer Unangemessenheit der vertraglichen Vereinbarung geführt. Und zwar, ohne dass es darauf angekommen wäre, ob eine Finanzierung der Ausbildung bei der Beklagten teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder vorgelegen hätte. Deshalb sei eine an einem entsprechenden Tarifvertrag ausgerichtete Ausbildungsvergütung als angemessen anzusehen.
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug? Was geschah anschliessend?
Die Beklagte hat die beim Bundesarbeitsgericht (3 AZR 775/09) eingelegte Revision zurückgenommen. Damit hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rechtskraft erlangt. Die Beklagte muß danach die geforderte Ausbildungsvergütung nachzahlen.
Quellen: Terminmitteilung des Bundesarbeitsgerichts für Dezember 2011 und Juris das Rechtsportal und eigene Recherche
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug?
Siehe auch: https://raheinemann.de/sind-toilettenfrauen-als-reinigungskraefte-zu-bezahlen/ und https://raheinemann.de/ist-ausbildungsverguetung-bei-insolvenzanfechtung-zurueckzuzahlen/ und https://raheinemann.de/was-ist-eine-angemessene-ausbildungsverguetung/ und https://raheinemann.de/angemessene-ausbildungsverguetung-bei-gefoerdertem-ausbildungsplatz/ und https://raheinemann.de/diakonie-muss-ausbildungsverguetung-in-hoehe-von-34-000-e-nachzahlen/ und https://raheinemann.de/anspruch-eines-auszubildenden-auf-tarifentgelt-fuer-arbeitnehmer/ und https://raheinemann.de/diakonie-muss-28-000-euro-ausbildungsverguetung-nachzahlen/ und https://raheinemann.de/ausbildungskosten-bei-abbruch-der-bundeswehrzeit-zu-erstatten/