Krankheitsbedingte Kündigung bei dauernder Leistungsunfähigkeit? Dazu hat das LAG Schleswig-Holstein am 10.01.2024, Az.: 3 Sa 74/23, entschieden. Der Arbeitgeber müsse für die Dauer von 24 Monaten eine befristete Ersatzkraft einstellen oder dies zumindest versuchen, wenn die Rückkehr eines länger erkrankten Arbeitnehmers völlig ungewiss ist.
Was ist passiert?
Der Sachverhalt
Krankheitsbedingte Kündigung bei dauernder Leistungsunfähigkeit? Zu dieser Frage hatte das LAG Schleswig-Holstein über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Die Arbeitsnehmerin, eine über 50 Jahre alte Bilanzbuchhalterin, war seit August 2020 in einem größeren mitbestimmten Betrieb tätig. Nachdem sie bereits im Oktober und November 2021 mehrfach krankheitsbedingt ausgefallen war, war sie seit dem 06.12.2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.
Bereits ab Oktober 2021 fiel sie mehrfach vorübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig aus. Und zwar begann die letzte Arbeitsunfähigkeit vor der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am 22. November 2021 und endete am 3. Dezember 2021. Am Wochenende 4./5. Dezember 2021 hat sie nicht gearbeitet.
Am 3. Juni 2022 hat der Arbeitgeber die Buchhalterin zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX eingeladen. Dazu ist sie über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements aufgeklärt worden.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2022 hat sie ihre Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement abgelehnt.
Am 26. Oktober 2022 hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin erneut zum betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. Diese hat unter Hinweis auf die noch bestehende Arbeitsunfähigkeit mit Schreiben vom 2. November 2022 die Einladung nicht angenommen.
Der Arbeitgeber hat den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 4. November 2022 zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung gemäß § 102 BetrVG angehört. Und zwar hat der Betriebsrat in seiner Sitzung am 7. November 2022 der beabsichtigten Kündigung zugestimmt.
Mit Schreiben vom 10. November 2022, der Klägerin zugestellt am 12. November 2022, sprach der beklagte Arbeitgeber eine ordentliche, fristgerechte Kündigung zum 31. Dezember 2022, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.
Unter dem 24. November 2022 erhob die klagende Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Kündigung von 10. November 2022 mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Es bestehe schon keine negative Prognose hinsichtlich einer psychischen Erkrankung. Und zwar hätten ihr die sie behandelnden Ärzte ihr gesagt, dass sie sicher bis Oktober 2024 wieder arbeitsfähig sein werde. Eine bis zur Gesundung der Klägerin vorübergehende Besetzung sei nicht versucht worden.
Die Vorinstanz
Krankheitsbedingte Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit? Das Arbeitsgericht Elmshorn gab der Klage statt (Urteil vom 05.04.2023, 3 Ca 1330 d/22). Hiergegen legte der beklagte Arbeitgeber Berufung ein.
Krankheitsbedingte Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit? Dazu das LAG Schleswig-Holstein
Die Entscheidung
Das LAG Schleswig-Holstein wies die Berufung des Arbeitgebers zurück. Und zwar sei Kündigung nicht sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG und daher unwirksam, so das LAG.
Die Begründung
Die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt, da eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch die langfristige Erkrankung der Arbeitnehmerin nicht vorgelegen hätte.
Hier hatte sich der beklagten Arbeitgeber auf die vermeintlich notwendige Beschäftigung einer anderen Mitarbeiterin auf dem Arbeitsplatz der Klägerin berufen. Dies wäre zwar eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung, so das LAG. Allerdings reiche der hierzu geleistete Vortrag des beklagten Arbeitgebers nicht aus.
Die andere Mitarbeiterin könnte nämlich nach der Genesung der Klägerin auf ihrem vorherigen Arbeitsplatz oder auf einer anderen Position eingesetzt werden. Und zwar kam auch eine befristete Einstellung einer externen Kraft zur Vertretung der Klägerin in Betracht.
Krankheitsbedingte Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit? Die allgemein schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt, die der Arbeitgeber vorgetragen hat, reichte für das LAG nicht aus. Und zwar sei konkreter Vortrag erforderlich, welche vergeblichen Bemühungen vom Arbeitgeber geleistet worden sind.
Es käme auch eine befristet eingestellte Ersatzkraft für die andere Mitarbeiterin in Betracht. Die klagende Arbeitnehmerin könne auch auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden, so das LAG.
Was lernen wir daraus?
Krankheitsbedingte Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit? Die Entscheidung bestätigt die Rechtsprechung des BAG vom 13.05.2015, (2 AZR 565/14). Wenn die Rückkehr eines länger erkrankten Arbeitnehmers völlig ungewiss sein sollte, so hat dieser für die Dauer von 24 Monaten eine befristete Ersatzkraft einzustellen oder dies zumindest zu versuchen. Die Bemühungen müssen dargelegt und bewiesen werden.
Und zwar sind die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung gerade bei lang andauernden Erkrankungen hoch, da die Interessen des Arbeitgebers infolge des Krankengeldbezugs nicht so erheblich beeinträchtigt sind wie bei häufigen Kurzerkrankungen. Zudem kann hier eine Vertretung besser organisiert werden.
Quelle: Juris zu 3 Sa 74/23; https://www.hensche.de/lag-schleswig-holstein-urteil-vom-10.01.2024-3-sa-74-23-krankheitsbedingte-kuendigung-wegen-dauernder-leistungsunfaehigkeit.html
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