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Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Dazu hat der BGH am 15. September 2010, XII ZR 148/09 entschieden. Und zwar hat der BGH dargestellt, unter welchen Voraussetzungen der Sozialhilfeträger, der einem im Heim lebenden Elternteil Sozialleistungen erbracht hat, von dessen Kindern eine Erstattung seiner Kosten verlangen kann.

Was ist passiert?

Die Klägerin ist Trägerin der öffentlichen Hilfe und nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt für seine 1935 geborene Mutter in Anspruch. Die Mutter befinder sich seit April 2005 in einem Pflegeheim. Sie litt schon während der Kindheit des Beklagten an einer Psychose. Die Psychose ging einher mit schizophrener Symptomatik sowie Antriebsschwäche und Wahnideen. Sie hat den Beklagten nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 versorgt. Und das mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.

Der Beklagte wendet zum einen Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch den Sozialhilfeträger und u. a. wegen Fehlverhaltens seiner Mutter ein. Da sie ihn als Kind nie gut behandelt habe, würde es zum anderen eine unbillige Härte im Sinne von § 94 SGB XII bedeuten, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte Abweisung der Klage.

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Dazu der BGH:

Die Entscheidung:

Die Revision des Beklagten blieb erfolglos. Der Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt.

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Keine Verwirkung

Eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung scheitert bereits am hier nicht erfüllten Zeitmoment. Danach verliert der Gläubiger seinen Anspruch, wenn er sein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre. Dieser Zeitraum beträgt, so der BGH, mindestens ein Jahr. Hier hat sich die Behörde durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unterhaltsanspruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Beklagte auch nicht darauf einrichten, dass die Klägerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Dabei geht es um das sogenannte Umstandsmoment.

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Psychische Erkrankung nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB

Weiter hat der Senat zu einer psychischen Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, ausgeführt. Und zwar könne eine solche psychische Erkrankung nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB betrachtet werden. Die Konequenz des Anspruchsverlustes sei dann nicht gegeben.

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Kein Ausschluss des Anspruchsübergangs

Das Gesetz fordert familiäre Solidarität. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, wegen der schicksalsbedingt zu qualifizierenden Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist u. a. der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt. Eine solche Konstellation lag der Senatsentscheidung vom 21. April 2004 (XII ZR 251/01 – FamRZ 2004, 1097) zugrunde. Danach beruhte die psychische Erkrankung des unterhaltsberechtigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg. Soziale Belange, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen. Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.

Quelle: Pressmitteilung des BGH Nr. 174/2010

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet?

Siehe auch: https://raheinemann.de/entlastung-fuer-unterhaltsverpflichtete-angehoerige/ und https://raheinemann.de/minderjaehrige-kinder-erhalten-ab-2022-hoeheren-mindesunterhalt/ und https://raheinemann.de/verringert-kostenfreies-wohnen-bei-grossmutter-den-unterhaltsanspruch/ und https://raheinemann.de/anspruch-auf-ausbildungsunterhalt-bei-weiterem-studium/ und https://raheinemann.de/kindesunterhaltsberechnung-nach-fiktivem-vollerwerbseinkommen/ und https://raheinemann.de/anspruch-auf-trennungsunterhalt-ohne-vorheriges-zusammenleben/ und https://raheinemann.de/kein-unterhaltsanspruch-bei-falschen-angaben-im-unterhaltsverfahren/ und https://raheinemann.de/ausbildungsunterhalt-auch-nach-3-jaehriger-verzoegerung-der-ausbildung/ und https://raheinemann.de/betreuungsunterhalt-auch-ueber-das-dritte-lebensjahr-eines-kindes-hinaus/ und https://raheinemann.de/kosten-fuer-bewegungsprofil-im-unterhaltsrechtsstreit-erstattungsfaehig/und https://raheinemann.de/betreuungsunterhalt-auch-ueber-das-dritte-lebensjahr-eines-kindes-hinaus/ und https://raheinemann.de/nachehelicher-unterhalt-befristung-wegen-krankheit/ und https://raheinemann.de/sterbegeldversicherung-als-vermoegen-zu-beruecksichtigen/

Marko Rummel

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Familienrecht

Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Dazu hat der BGH am 15.09. 2010, XII ZR 148/09, entschieden.
Rechtsanwalt Marko Rummel: Abkömmlinge dem Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet? Dazu hat der BGH am 15.09. 2010, XII ZR 148/09, entschieden.