Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Dazu hat das Bundesarbeitsgericht unter Mitwirkung unserer Kanzlei mit Urteil vom 23. August 2011, 3 AZR 575/09, entschieden. Danach schuldet der Beklagte dem Kläger eine angemessene Ausbildungsvergütung, so das BAG. Das Vertragsverhältnis der Parteien unterfalle der Vorschrift. Der Anspruch auf angemessene Ausbildungsvergütung sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger während der Ausbildungszeit Geldleistungen aus öffentlichen Haushalten bezogen hat.
Das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt als Vorinstanz
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen?
Der Sachverhalt
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Vereinbarung im Arbeitsvertrag
Vom 1. 8. 2006 bis 31. 5. 2007 war der Kläger bei dem Beklagten als Auszubildender für den Beruf eines Altenpflegers beschäftigt. Gemäß § 7 des Ausbildungsvertrages vereinbarten die Parteien, dass keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, da der Kläger während der Ausbildung von der Agentur für Arbeit oder einem anderen Kostenträger eine individuelle finanzielle Förderung erhält.
Ausbildungsvertrag eines anderen auszubildenden Altenpflegers der Beklagten
Der Ausbildungsvertrag eines anderen auszubildenden Altenpflegers der Beklagten, der seine Ausbildung gleichzeitig mit dem Kläger begann, enthält eine Regelung dahingehend, dass sich die zu zahlende Ausbildungsvergütung bis zum Abschluss eines eigenen Tarifvertrages für Altenpflegeschüler nach den tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes für Schüler der Krankenpflege richtet und eine Ausbildungsvergütung nur zu zahlen ist, wenn der Schüler keinen Anspruch auf öffentliche Mittel hat, die Unterhalt sichern.
Mitteilung der Heimleiterin
Vor Unterzeichnung des Ausbildungsvertrages teilte die Heimleiterin der Pflegeabteilung dem Kläger mit, dass der Beklagte als gemeinnützige Einrichtung auf keinen Fall eine Ausbildungsvergütung zahlen könne und werde. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass er für die Ausbildung z. B. Bafög oder „Harz IV“ Leistungen beantragen könne. Nur bei entsprechender Bewilligung sei eine Einstellung möglich, da bei der Beklagten hierfür kein Geld zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte, er erhalte zur Zeit Arbeitslosengeld II.
Andere Bezüge des Klägers
Der Kläger wohnte während der Ausbildung bei seinen Eltern. In der Zeit vom 1. 8. bis 30. 9. 2006 erhielt er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 345,00 Euro monatlich. Ein weiterer Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wurde von der Jobcenter Arbeitsgemeinschaft Magdeburg GmbH mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Lebensunterhalt der aus den Eltern des Klägers und ihm bestehenden Bedarfsgemeinschaft durch das Einkommen der Eltern gesichert sei. Weiterhin erhielt der Kläger 17,00 Euro Bafög monatlich seit August 2006. Eine höhere Förderung wurde wegen der Höhe des Einkommens der Eltern des Klägers nicht gewährt. Des Weiteren wurden monatlich 154,00 Euro als Kindergeld gezahlt.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Die Entscheidung
Das BAG hat die Revision der beklagten Diakonie als unbegründet zurückgewiesen.
Angemessene Vergütung im Sinne von § 17 Abs. 1 AltPflG
Nach § 17 Abs. 1 AltPflG sei dem Kläger eine angemessene Vergütung zu zahlen, so das Landesarbeitsgericht. Welche Vergütung angemessen ist, sei unter Abwägung der Interessenlage beider Vertragspartner und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dabei sei auf die Verkehrsanschauung abzustellen. Wichtiger Anhaltspunkte dafür seien die bestehenden Tarifverträge. Diese seien nämlich von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt worden und es sei anzunehmen, dass dabei die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt sind.
Geeignete Ansatzpunkte nach AVR
„Einschlägig“ in diesem Sinne seien die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Diakonischen Werkes (AVR). Deren Anwendung hätten die Parteien zwar nicht vereinbart. Sie würden allerdings abstrakt die Arbeitsbedingungen beim Diakonischen Werk regeln, so dass sie der geeignete Ansatzpunkt für die Berechnung der „angemessenen Ausbildungsvergütung“ seien, so das Landesarbeitsgericht.
Tarifliche Regelungen des öffentlichen Dienstes nicht einschlägig
Demgegenüber seien die tariflichen Regelungen des öffentlichen Dienstes nicht einschlägig. Soweit der Kläger und ihm folgend das Arbeitsgericht insoweit auf den Ausbildungsvertrag des Beklagten mit einem anderen Auszubildenden abgestellt hätten, sage dieser Umstand nichts darüber aus, dass die Regelungen des öffentlichen Dienstes auch für das Ausbildungsverhältnis des Klägers maßgeblich seien. Es sage insbesondere nichts darüber aus, ob der Beklagte üblicherweise diese Regelungen bezüglich seiner Ausbildungsverhältnisse anwendet.
Anspruch auf Ausbildungsvergütung nicht abdingbar
Auch sei der Anspruch auf Ausbildungsvergütung nicht abdingbar. Insoweit werde auf die Entscheidung des BAG vom 19. 2. 2008 – 9 AZR 1091/06 – NZA 2008, 828 – Bezug genommen. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei sie in diesem Zusammenhang auch einschlägig. Sie besage nämlich klar, dass die Tatsache, dass der Ausbildungsträger – hier: der Beklagte – nur über „beschränkte finanzielle Mittel“ verfügt, von der Pflicht, eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen, nicht befreit. Dies gelte nicht nur dann, wenn der Ausbilder keine „angemessene“ Ausbildungsvergütung zahlen will, sondern erst recht dann, wenn er überhaupt keine Ausbildungsvergütung zahlen will.
Zuvor hatten bereits das ArbG Magdeburg am 05.06.2008, 10 Ca 2779/07, ebenfalls unter Mitwirkung unserer Kanzlei, grundsätzlich in derselben Weise entschieden.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Dazu das BAG in seinem Urteil vom 23.08.2011
Und zwar führte das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 23. August 2011, 3 AZR 575/09, insbesondere zur angemessenen Ausbildungsvergütung für Auszubildende in der Altenpflege, wie folgt aus:
§ 17 AltPflG
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen?
„Die Ansprüche des Klägers richten sich nach § 17 Abs. 1 AltPflG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung.
Nach § 17 Abs. 1 AltPflG aF hat der Träger der praktischen Ausbildung der Schülerin und dem Schüler für die gesamte Dauer der Ausbildung eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen, soweit nicht Ansprüche auf Unterhaltsgeld nach dem SGB III oder Übergangsgeld nach den für die berufliche Rehabilitation geltenden Vorschriften bestehen oder andere vergleichbare Geldleistungen aus öffentlichen Haushalten gewährt werden. Danach schuldet der Beklagte dem Kläger eine angemessene Ausbildungsvergütung. Das Vertragsverhältnis der Parteien unterfällt der Vorschrift. Der Anspruch auf angemessene Ausbildungsvergütung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger während der Ausbildungszeit Geldleistungen aus öffentlichen Haushalten bezogen hat.“
AVR-Diakonie
„Der Höhe nach bestimmt sich der Anspruch auf angemessene Ausbildungsvergütung nach Nr. III der Anlage 10a-Ost zu den AVR-Diakonie in der ab 1. Juni 2004 gültigen Fassung und beträgt dementsprechend – worüber in der Verhandlung vor dem Senat Einigkeit bestand – 674,38 Euro brutto monatlich. Davon sind für Mai 2007 hinsichtlich der nicht geleisteten Arbeit am 16 Mai 31,13 Euro brutto (674,38 Euro brutto multipliziert mit 3, geteilt durch 13, weiter geteilt durch 5) abzuziehen, weil insoweit schon keine zulässige Anschlussrevision vorliegt.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Angemessene Ausbildungsvergütung
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen?
„Da bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung auf die Verkehrsanschauung abzustellen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte selbst an die AVR-Diakonie gebunden ist und ob er diese Regelungen in die bei ihm durchgeführten Ausbildungsverhältnisse einbezogen hat. Selbst wenn damit der in den AVR geregelte Geltungsbereich und die Anwendung in der einzelnen Einrichtung auseinanderfallen, ist Maßstab, was die AVR-Diakonie vorsehen. Insoweit gilt nichts anderes als bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, der dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages unterfällt.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Eine vereinbarte Ausbildungsvergütung ist unangemessen, wenn sie die einschlägige tarifliche, branchenübliche oder in den AVR festgelegte Vergütung – wie hier – um mehr als 20 % unterschreitet. Dies hat zur Folge, dass die volle tarifliche, branchenübliche oder in den AVR festgelegte Ausbildungsvergütung zu zahlen ist. Die Begrenzung des Anspruchs auf das gerade noch zulässige Maß der Unterschreitung widerspräche dem Zweck von § 17 Abs. 1 AltPflG aF. Diese Vorschrift soll eine angemessene Ausbildungsvergütung sicherstellen. Und zwar wäre es damit nicht vereinbar, bei einer Unterschreitung der nach der Verkehrsanschauung angemessenen Ausbildungsvergütung den Anspruch zu Gunsten des Trägers der praktischen Ausbildung auf das gerade noch Angemessene zu begrenzen.“
Danach sind Vereinbarungen, in denen die Ausbildungsvergütung um mehr als 20 % unter dem tariflichen Niveau liegt, also unwirksam und die Auszubildenden haben dann Anspruch auf den vollen Tariflohn.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Im vorliegenden Fall musste die Diakonie deshalb letztlich Ausbildungsvergütung in Höhe von ca. 34.000,00 € nachzahlen.
Der Instanzenzug in einem ähnlich gelagerten Fall
Das ArbG Magdeburg
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen?
Das Arbeitsgericht Magdeburg hatte in einem weiteren Urteil vom 08. September 2010, 7 Ca 4138/09, in derselben Weise wie vorstehend das BAG entschieden. Dazu verweisen wir auch auf unseren Beitrag „Diakonie muss 28.000 Euro Ausbildungsvergütung nachzahlen„. Und zwar gelte eine an einem entsprechenden Tarifvertrag ausgerichtete Ausbildungsvergütung als angemessen im Sinne von § 17 AltPflG , so das ArbG Magdeburg.
Unterschreite die vereinbarte Vergütung die in einem einschlägigen Tarifvertrag vereinbarte Vergütung um mehr als 20 %, so sei sie regelmäßig nicht mehr angemessen. Eine geltungserhaltende Reduktion der vertraglichen Vereinbarung zu Gunsten des Ausbildenden bis zur Grenze dessen, was noch als angemessen anzusehen wäre, scheide aus; es bestehe dann ein Anspruch des Auszubildenden auf die volle tarifliche Ausbildungsvergütung. Leistungen nach dem BAföG würden nicht zu den Leistungen im Sinne von § 17 AltPflG gehören, die den Anspruch auf Ausbildungsvergütung zum Wegfall bringen.
Das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Sodann hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen-Anhalt die dagegen von der beklagten Diakonie eingelegte Berufung mit Urteil vom 26 April 2012, 3 Sa 430/10, zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die beklagte Diakonie hatte daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt.
Muss Diakonie komplette Ausbildungsvergütung nachzahlen? Das BAG
Angesichts des eingangs zitierten Urteils des BAG vom 23. August 2011, 3 AZR 575/09, hat das BAG dann mit Beschluss vom 11. Dezember 2012, 3 AZN 1999/12, die von der beklagten Diakonie erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Quelle: Juris das Rechtsportal
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Siehe auch:
Nachtschichteignung verschwiegen – Arbeitsvertrag anfechtbar?
Was ist eine angemessene Ausbildungsvergütung?
Welche Ausbildungsvergütung bei gefördertem Ausbildungsplatz?
Kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bei BAföG-Bezug?
Diakonie muss 28.000 Euro Ausbildungsvergütung nachzahlen
Anspruch auf Arbeitnehmertarif für Auszubildenden?
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Ausbildungsvertrag ohne Ausbildungsvergütung wirksam?
Ausbildungsvergütung nach Insolvenzantrag zurückzuzahlen?
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Quelle: Juris das Rechtsportal